Die Fragen stellte Peter Breitfeld.
Fotos: Bürgertreff „Gemeinsam im Kiez leben“.
Den Bürgertreff „Gemeinsam im Kiez leben“ gibt es seit Oktober 2015. Er gehört zur Cooperative Mensch eG, die aus der Spastikerhilfe Berlin eG hervorgegangen ist. Zur Entwicklung des Bürgertreffs ist zu lesen, dass die AKTION MENSCH am Anfang zu den wichtigsten Unterstützern und Partnern gehört hat. Darüber und was den Bürgertreff in der Schöneicher Straße so ausmacht sprach Oskar mit Wiebke Ursprung, Mitarbeiterin im Bürgertreff-Team.
oskar: Wie kommt es denn zu solch einer namhaften Unterstützung? Reicht da einfach die Bewerbung mit den eigenen Projektvorstellungen aus? Oder wie ist der Kontakt zur AKTION MENSCH entstanden?
Wiebke Ursprung: Ich bin erst seit 2021 Mitarbeiterin im Bürgertreff. Aus Berichten meiner Kolleginnen weiß ich aber, dass der Bürgertreff zunächst mit Geldern aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert wurde. Danach dann durch die Aktion Mensch. Dafür hat man sich beworben. Und die Ideen waren damals so innovativ und unterstützenswert, dass der Bürgertreff sogar zweimal drei Jahre diese Förderung bekommen hat. Ende 2018 ging der Bürgertreff dann nach erneuter Anpassung der inhaltlichen Ausrichtung in die bezirkliche Förderung über. Das war ein sehr großer Schritt und wichtig für die Existenz des Bürgertreffs. Wäre das nicht gelungen, würde es das Projekt heute wohl nicht mehr geben.
Als 2015 das Projekt gestartet ist, gab es sicher verschiedene Möglichkeiten, wo der Bürgertreff eröffnet wird. Was war entscheidend, dass die Wahl auf diesen Standort im Lichtenberger Hohenschönhausen gefallen ist?
Das waren ganz praktische und naheliegende Überlegungen. Die Cooperative Mensch eG (damals Spastikerhilfe) hatte einige Etagen in der Schöneicher Straße für Wohngruppen angemietet. Da kam dann die Frage auf, wie man die Räume im Keller nutzen könnte und man entschied sich, einen Treffpunkt einzurichten. Heute sind die Räume nicht mehr wirklich passend. Wir wünschen uns Räume, die im Erdgeschoss liegen und einladender und präsenter für die Nachbarschaft sind.
Wer sich auf der Internetseite über das Angebot des Bürgertreffs informiert, dem fällt zuerst die Einladung ins Auge: „Es sind alle Menschen willkommen.“ Unter den vielfältigen Angeboten sind dann aber auch sehr spezifische zu finden. So der Fesekreis, ein feministischer Lesekreis, wo nur Bücher von Frauen gelesen werden. Oder die „AG Periodenarmut Lichtenberg“, die Probleme menstruierender Menschen enttabuisieren will. Wie passt das zusammen?
Das passt insofern zusammen, da wir ein inklusiver Treff sind, der die gesamte Nachbarschaft mit eindenkt. Wir wollen, dass wirklich ALLE Menschen bei uns willkommen sind. Einige Gruppen fühlen sich in Projekten oder Angeboten nicht gesehen. Sie wirken nicht einladend auf sie. Wir möchten gerne, dass sich auch diese Menschen bei uns wohlfühlen und wissen, dass sie zu uns kommen können und nicht ausgegrenzt werden. Da ist es dann auch nicht mehr weit gedacht, dass auch Themen in Projekten aufgegriffen werden, wie zum Beispiel der Austausch feministischer Ideen oder aber die Bekämpfung bestimmter Probleme, wie die Periodenarmut. Letztlich profitiert davon dann wieder der gesamte Stadtteil.
Durch Corona gibt es eine Menge Einschränkungen. Sie haben sich da ein besonderes Projekt ausgedacht. Worum geht es da und wie wird es angenommen?
Ende 2020 haben wir uns das Projekt der Zauntafel überlegt. An unserer Tafel an der Ecke Schöneicher Straße/ Große-Leege-Straße erscheint jede Woche eine Frage oder ein Gedicht. Das Projekt wurde begonnen, um auch in Zeiten des Lockdowns mit der Nachbarschaft in Kontakt zu bleiben. Gerade in den Wintermonaten wurde viel auf unsere Fragen geantwortet. Es sind richtig tolle Tafelbilder entstanden. Zum Sommer hin hat es immer mehr abgenommen und leider sind zeitweise die Tafelstifte geklaut worden. Daher haben wir vermehrt Gedichte drauf geschrieben. Wir haben immer wieder Rückmeldungen von Leuten, dass sie sich über die neuen Gedichte freuen und es ihnen Spaß macht, an unserer Straßenecke vorbei zu gehen, um zu sehen was es neues zu sehen oder zu schreiben gibt. Die Endergebnisse auf der Tafel haben wir, wenn uns der Regen nicht dazwischen gekommen ist, auf unserer Facebookseite festgehalten. Dort gibt es einen Fotoordner mit allen Gedichten und Fragen.
Ein so vielfältiges Angebot wie im Bürgertreff in der Schöneicher Straße kann nur gestaltet und aufrecht erhalten werden, wenn sich viele Freiwillige dafür engagieren. Was motiviert Menschen, freiwillig im Kiez aktiv zu werden? Was sind da Ihre Erfahrungen? Und wofür suchen Sie gerade Unterstützung und helfende Hände?
Ich habe den Eindruck, bei uns melden sich viele Leute, die gerne vor der Haustür aktiv mitgestalten wollen. Einige sind in Rente und wünschen sich etwas Abwechslung im Alltag. Andere sind im Studium und möchten gerne etwas mehr Praxis und Austausch im Alltag haben. Viele freuen sich über eine Aufgabe, die sie übernehmen können, um für sich und andere den Alltag freundlicher zu machen. Im Moment sind wir mit Ehrenamtlichen tatsächlich auch recht gut aufgestellt. Aktuell suchen wir noch jemanden, der gerne ein Nähangebot bei uns betreuen möchte. Im Frühjahr soll auch das Fahrradcafé wieder belebt werden. Da können wir Hilfe gebrauchen. Wir würden uns auch sehr über neue Vorlesepat:innen für unseren Kiez freuen. Gerade in den Wohngruppen der Cooperative Mensch sind regelmäßige Vorlesetreffen sehr willkommen. Auch bei der Gestaltung von Flyern oder beim Formulieren von Texten in leichter Sprache für unsere Webseite nehmen wir immer gerne Hilfe an.
Jetzt haben Sie über das Engagement der vielen Freiwilligen gesprochen. Erzählen Sie doch mal etwas über sich. Wie erleben Sie die Arbeit im Team vom Bürgertreff? Was finden Sie daran besonders, was motiviert Sie?
An der Arbeit im Bürgertreff mag ich, dass man immer wieder überrascht wird. Bei den meisten Angeboten kommen neben den Stammgästen immer wieder unterschiedliche Leute vorbei. Das freut mich immer sehr, weil man immer die Gelegenheit hat, jemand Neues im Bürgertreff willkommen zu heißen. Bei jedem Gast kann man aktiv gucken nach was gesucht wird oder was gebraucht wird. Manchmal wird vielleicht auch nur ein kleines Gespräch gesucht oder ein funktionierender Drucker. Ich freue mich immer bei so kleinen Anfragen unterstützen zu können. Das macht mir Spaß.
An der Teamarbeit im Bürgertreff mag ich besonders, dass alle ihren eigenen Schwerpunkt in der Arbeit suchen und umsetzten. Abgesehen von der Öffentlichkeitsarbeit und Organisationsarbeit der bestehenden Projekte ist man hier ganz frei zu gucken, was man gerne machen und umsetzten möchte.
Freiwilliges Engagement wird in Lichtenberg ja schon recht gut gefördert und anerkannt. Wie nehmen Sie das wahr und wo könnte bei Förderung und Anerkennung noch etwas draufgepackt werden? Was wäre, wenn Sie ein paar Wünsche frei hätten?
Ich würde mir wünschen, dass neue Ehrenamtliche niedrigschwellig mehr Unterstützung beim Einstieg bekommen. Ich habe häufiger Anfragen von Leuten, die sich gerne engagieren möchten, dabei aber Unterstützung brauchen oder nicht von sich aus ein Angebot alleine übernehmen können. Im Team selbst ist es dann leider nicht immer so einfach diese Unterstützung anzubieten. Bei einigen mache ich dies selbst, was viel Zeit in Anspruch nimmt. Viele von den Leuten wollen dann aber nicht noch in eine andere Einrichtung. Die Unterstützung müsste tatsächlich direkt in die Projekte kommen.
Diese Problematik sieht man auch an der Besetzung der Ehrenämter bei uns im Bürgertreff. Die Plätze, wo unterstützende Arbeit gesucht wird, sind immer viel schneller besetzt als Ehrenämter, die mehr Verantwortung und selbstständige Planung und Kreativität beinhalten.
Dieses Interview entstand in der Redaktion Zeigen, was geht!
Sie ist die Freiwilligen-Redaktion der oskar | freiwilligenagentur lichtenberg. Freiwillig Engagierte verfassen für die Redaktion Beiträge über Themen im Zusammenhang mit Engagement. Das Format der Beiträge kann in der Redaktion frei gewählt werden, neben Texten sind auch Videos oder anderes möglich. Die jährlich stattfindenden Freiwilligentage stehen besonders im Fokus. Die Zeigen, was geht! – Redaktion steht allen Interessierten offen. Wir treffen uns an jedem 2. Donnerstag im Monat. Wer mitmachen möchte, meldet sich bitte bei Gül Yavuz: guel.yavuz@oskar.berlin