#oskarRedetMit – Alan Meyer, Künstler und aktiv in der Ukraine-Hilfe

In der Rubrik #oskarRedetMit finden Sie Interviews mit spannenden Akteur:innen aus den Bereichen Engagement, Zivilgesellschaft und Gemeinwohl.

Fotos: Wolfgang Haensel

Alan Meyer hat im Frühjahr 2022 eine Ausstellung in der oskar | freiwilligenagentur lichtenberg gemacht. Er engagiert sich im Ukraine-Hilfe Berlin e.V., indem er ukrainische und europäische Künstler:innen zusammenbringt und Künstler:innen-Residenzen organisiert. Alans Motivation für sein freiwilliges Engagement ist eine starke politische Russlandkritik. Alan ist russischer Muttersprachler. Das vorliegende Interview wurde sprachlich nur geringfügig angepasst, um die Aussagen möglichst authentisch zu halten.


Wir treffen uns vor der East Side Mall. Etwas verwundert über den Treffpunkt nehme ich an, dass wir uns in ein Café setzen. Alan hat den Ort ausgesucht. Seine Mutter ist bei ihm und zusammen gehen wir in das große Shoppingcenter. Er trägt ein buntes Hemd, auf dem Rücken einen Rucksack. Er wirkt freundlich, gelassen und etwas müde. Es ist das erste Mal, dass ich die Mall betrete. Zwischen Jysk und Nanu Nana gehen wir in einen Raum voller großer Leinwände, einige noch eingepackt andere hängen schon fertig an der Wand. Eine Gruppe junger Frauen begrüßt Alan herzlich. Am nächsten Tag wird hier eine Ausstellung eröffnet. Wir setzen uns auf ein Möbelstück aus Paletten. Alan kommt gerade aus der Ukraine. Der für eine Woche geplante Aufenthalt dauerte drei Monate. Auf dem Weg zu einem Kunstworkshop mit Kindern explodierte dort eine Bombe neben dem Auto seiner Freiwilligen. Dabei verlor einer ein Bein.

oskar: Wo kommst du gerade her?

Alan Meyer: Ich muss von Anfang an erzählen: Nach 2014 haben wir Geld gesammelt, zum Beispiel durch Verkaufen unserer Bilder, und uns mit „yellow-blue wings“, einer ukrainischen Organisation, und vielen anderen in der Ukraine zusammengetan. Ich habe viele Künstler:innen aus Berlin angesprochen und sie haben Bilder zum Verkaufen gegeben. Wir haben ungefähr 8.000 Euro zusammen bekommen. Ende 2014 war eine unserer Aktivistinnen, Marina Bondas, an der Front und sehr schockiert, dass der Krieg dort schon stattfand, so wie er jetzt überall in der Ukraine ist. Sie hatte die Idee, dass wir Kinder von dort zur Rehabilitation nach Berlin holen sollten. Das war der Anfang des Vereins Ukraine-Hilfe Berlin. Unser erstes selbstorganisiertes Kindercamp „tabor“ haben wir 2016 in Potsdam gemacht.

Das Camp habt ihr nur mit freiwilligem Engagement durchgeführt?
Alan Meyer und Daya Schneider stehen vor einem  bunten abstrakten Bild
Der Künstler Alan Meyer und die oskar-Redakteurin Daya Schneider betrachten ein Kunstwerk

Ja, und ich erinnere mich noch an jedes einzelne Kind. Es waren ungefähr zwanzig. Das erste Mal war sehr schwierig, weil uns dort nur sehr wenig Leute kannten und noch niemand unseren Verein Ukraine-Hilfe Berlin kannte. Er entstand gerade erst. Auch mussten wir am Ende ca. 5.000 Euro aus unserer eigenen Tasche dazu zahlen, weil wir nicht genügend Spenden hatten. Danach bin ich in die Ukraine gefahren, weil ich sehen wollte, wie die Kinder leben. Die meisten kommen aus dem Donbass. Das Donbass war für mich damals absolut unbekanntes Gebiet.

Du bist in St. Petersburg geboren. Woher kommt deine Verbindung zur Ukraine?

Was in der Ukraine passiert, ist auch für mich eine persönliche Befreiung, denn ich bin in Russland aufgewachsen. Ich möchte, dass die mehr als hundert verschiedenen Völker in Russland frei werden. Ich glaube, dass, wenn die Ukraine frei wird, unsere Welt besser wird. Ich habe auch keinen russischen Pass mehr, weil ich Russland verlassen habe, als es noch die Sowjetunion war. Jetzt habe ich einen israelischen Pass.

Hast du Verwandte in der Ukraine?

Nein. Mein Urgroßvater ist vor 200 Jahren aus der Schweiz nach Odessa in der Ukraine ausgewandert, aber das hat mit heute nichts zu tun. Ich hatte mit der Ukraine bis vor ein paar Jahren keine Verbindung. Als die Ukraine zeigte, dass sie frei sein will, dass sie anders ist als Russland, da war dieses schwarze Loch auf meiner Karte, wo die ganze Sowjetunion war, plötzlich anders. Je mehr Zeit ich dort verbrachte, desto mehr sah ich, wie wunderschön, prächtig und zerbrechlich die Ukraine ist. Man sollte die Ukraine unterstützen.

Und dann hast du angefangen, dort Kunstprojekte zu machen?

Ja, im September 2016 war ich in Kramatorsk, wo ich ein „Mural“, eine Wandmalerei, gemacht habe. Jetzt wird dort gekämpft. Es stand damals schon einmal unter russischer Besatzung, wurde aber wieder befreit. Und damals sah ich, dass ich als Maler dort etwas machen kann. Ich habe mit Kindern gemalt und sah, dass die Leute Interesse am Malen haben. Im Februar ging ich wieder nach Kramatorsk, um eine „Residenz“ zu organisieren. Das bedeutet: ich finde deutsche Künstler:innen, die, ohne viel Geld dafür zu bekommen, in eine Residenz fahren wollen. Aber sie haben dort große Freiheit in ihrer Arbeit. Ich schuf den Ort, an dem sie arbeiten und wohnen konnten. Wir erstellten eine wunderschöne Ausstellung in dem lokalen Museum, zusammen mit einheimischen jungen Künstler:innen. Ich habe alle meine befreundeten Künstler:innen aus Deutschland angeschrieben und fand Künstler:innen aus Frankfurt, die bereit waren, mit dem eigenen Auto bis nach Kramatorsk zu fahren. Die Reise war für sie schon ein Abenteuer. Das waren wunderschöne zehn Tage. Ich habe gesehen, dass es wunderschön war, und habe es dann weiter gemacht. Danach kam ich jedes halbe Jahr mit deutschen und europäischen Künstler:innen dorthin, bis zur Coronazeit.

Welche Wirkung hast du durch deine Arbeit dort gesehen?

Nehmen wir zum Beispiel mein Projekt „Diffusion“. Die Wirkung passiert auf drei Ebenen. Schon als wir unsere Bilder 2014 verkauften, hatten wir zwei Ziele: eins war, Geld zu sammeln, und das andere, gegen die Desinformationen von Russland zu kämpfen. Wir wollten deutlich machen, dass nicht alle russischsprachigen Menschen in der Ukraine Russland unterstützen. Das große Ziel war, eine sanfte Erklärung für das deutsche Publikum zu machen. Denn wenn ich Künstler:innen dort vor Ort hinbringe, hat das eine ganz andere Wirkung, als wenn ich nur darüber erzähle. Denn eigentlich kennen die Leute die Ukraine nicht. Aber wenn sie das Land durch die Kunst kennen lernen, lernen sie anders und die Informationen wirken viel stärker, weil sie sanft vermittelt werden. Es ist eine andere Erzählung. Durch die deutschen Künstler:innen wollte ich auch Einfluss auf das deutsche Ukraine-Verständnis nehmen. Es sind nur kleine Schritte. Aber, ich glaube, die kleinen Schritte wirken.

Wenn ich jetzt in der Ukraine bin, ist dort eine enorm inspirierende Kraft. Ich sehe, das, was ich mache, hat Sinn. Ich fühle, dass es für die Verbesserung unserer Welt einen kleinen aber wichtigen Beitrag leistet.

Alan Meyer, Künstler


Der zweite Aspekt galt den ukrainischen Künstler:innen, dass sie nicht mit sowjetischen Mitteln arbeiten müssen, sondern dass sie sehen, wie europäische Künstler:innen arbeiten. Wenn die klassischen modernen europäischen Ansichten mit den sowjetischen Ansichten zusammen kommen, entstehen interessante Dinge. Für die ukrainischen Künstler:innen war das sehr interessant. Sie haben sofort Kontakte zu der europäischen Kunstszene aufgebaut. Bis heute sind die Kontakte aus 2016 stark und werden noch genutzt. Das hat alles mit dieser ersten Ausstellung 2016 begonnen.

Der dritte Aspekt war, dass dieser Austausch für mich persönlich als Künstler sehr bereichernd war. Man soll auch immer daran denken, welchen persönlichen Mehrwert ein Engagement hat. Auch wenn der politische Aspekt wichtig war, ist es doch die Kraft, die Inspiration, die ich für meine künstlerische Arbeit daraus ziehe. Künstler:innen haben ihre Phasen und bekommen ihre Inspiration aus verschiedenen Quellen: Menschen, Orte, etc. Wenn ich jetzt in der Ukraine bin, ist dort eine enorm inspirierende Kraft. Ich sehe, das, was ich mache, hat Sinn. Ich fühle, dass es für die Verbesserung unserer Welt einen kleinen aber wichtigen Beitrag leistet.

Wann hast du mit deinem freiwilligen Engagement angefangen?

Politische Freiwilligenarbeit leiste ich seit dem Krieg in Georgien 2008. Da habe ich mit der georgischen Gemeinde mit Lesungen und Ausstellungen angefangen. Ab 2014 hat sich das Zentrum meiner Arbeit vollständig in die Ukraine verlagert. Also, auch wenn ich hier in Berlin viel gearbeitet habe, war ich doch mit dem Kopf in der Ukraine.

Was sind für dich die Herausforderungen bei der Freiwilligenarbeit?

Die erste ist natürlich das Geld. Zum Beispiel haben wir aktuell eine sehr schlechte Situation, weil wir seit drei Monaten keine Verkäufe gemacht haben. Das fehlende Geld macht das Engagement schwieriger. Ein anderer Punkt ist die Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Leuten, die alle unterschiedliche Ansichten haben. Mein Projekt „Diffusion“ könnte viel größer sein, doch das hat wegen der unterschiedlichen Menschen nicht geklappt. Auch wenn es viel soziales Engagement in der Ukraine gibt, gibt es mein Nischenprojekt dort nicht noch einmal. Das Alleinstellungsmerkmal ist, dass die Kinder ein ernsthaft hohes Kunstniveau haben. Sodass die Künstler:innen nicht auf sie herabschauen, sondern dass die Kinder ein Teil der professionellen Kunstszene werden. Ich versuche, Künstler:innen zu engagieren, die mit einheimischen Amateurkünstler:innen zusammen eine möglichst professionelle Ausstellung erschaffen. Das sind keine Sozialarbeiter:innen.

Sehen wir hier in der Eastside Gallery die Ergebnisse der Ausstellung?

Hier sind nur Arbeiten von Kindern, aber in einem professionellen Rahmen: große Leinwände, von den Kindern selbst grundiert. Die Arbeiten bleiben natürlich Arbeiten von Kindern, aber sie sind in der Form schon anders. Ich sage den Kindern, dass wir ihre Arbeiten verkaufen und ausstellen wollen. Dann nehmen sie es ernst. Ein Mädchen hat zum Beispiel mit 16 Jahren das erste Mal an einer Residenz teilgenommen. Sie kommt aus einem Ort, der seit acht Jahren unter Beschuss steht. Heute ist sie 21 Jahre. Durch das Projekt hat sie ein Fotografie-Praktikum in Berlin gefunden und ist jetzt in Deutschland. Ihre Geschichte ist eine unserer Erfolgsgeschichten.

Welche Projekte stehen dieses Jahr noch bei dir an?

Mein erstes Projekt ist die Ausstellung hier in der East Side Mall. Ich werde hier einige Monate arbeiten und eine Künstler:innen-Residenz organisieren. Am Ende des Sommers soll es hier noch eine Ausstellung von Exilkünstler:innen geben. Im Juli gibt es wieder ein Kinderkunstcamp in Werder, Potsdam. An einem wunderschönen Ort direkt am See. Ich hoffe, dass der Krieg in der Ukraine bald zu Ende gehen wird. Dann möchte ich dort wieder eine Residenz organisieren. Der Ort, an dem wir eigentlich sein wollten, ist gerade besetzt. Unsere Wandbilder dort sind alle von den russischen Soldaten weiß übermalt worden. Sie wollen diese Bilder nicht. Auch die Straßennamen werden alle ins Russische umgewandelt.

Wie kann man euch unterstützen?

Wir suchen immer Ausstellungsräume, Ateliers für ukrainische Künstler:innen, und Geldspenden helfen auch. Außerdem suche ich Galerien, die mit uns Workshops machen wollen. Für eine Ausstellung mit 60 Bildern aus dem Donbass suche ich noch einen Ausstellungsraum.

Gibt es sonst noch etwas, was du sagen möchtest?

Ich glaube, dieser Krieg ist sehr entscheidend für die kommenden Jahrhunderte. Die ganze Welt, nicht nur Europa, wird davon betroffen sein. Ich lade dazu ein, den Weg der Ukraine nach Europa zu unterstützen und sich aktiv mit den ukrainischen Flüchtlingen auseinander zu setzen. Man kann das über Austauschcafés machen. Wir haben zum Beispiel einen Sonntagstreff in Kreuzberg an der Yorckstraße. Dort kommen Mütter mit Kindern, wir malen zusammen. Wir brauchen noch Leute, die dort mit den Erwachsenen etwas machen: reden, erzählen, kennen lernen. Bei Interesse kann man mich kontaktieren.

Vielen Dank für deine Zeit.

Am Ende zeigt Alan mir ein Bild mit runden Bällen. „Das Bild hat Max gemalt. Ich habe seine Mutter nun endlich zur Ausreise aus der Ukraine überreden können. Doch vor ein paar Tagen hat sie eine Bombe getroffen. Max und seine Mutter sind mittlerweile beide gestorben.“ Das Bild soll einen besonderen Begleittext bekommen, um dem Jungen zu gedenken. Hier zeigt sich: Kunst schafft etwas, das über das Leben hinausreicht.


Nachtrag im September 2022

In der Richardstraße 11 organisierte Alan ein offenes Atelier für ukrainische Künstler:innen. Ukrainische Künstler:innen sind eingeladen, hier kostenfrei das Atelier zu nutzen, um auch während des Kriegs ihre Arbeit fortführen zu können. Ab Oktober gibt es dieses Angebot wieder in der East Side Mall in der Tamara-Danz-Straße. Interessierte Künstler:innen können sich bei Alan direkt melden.

Kontakt Alan Meyer: alan193231@yahoo.de
Kontakt Ukraine Hilfe Berlin Verein: www.heartforUkraine.com
Weitere Infos: www.behance.net/israleinen1388

Infos zur oskar | galerie: https://oskar.berlin/kunstausstellungen/

Dieser Beitrag entstand in der Redaktion Zeigen, was geht!
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