Die Fragen stellte Fiona Finke Fotos: Dagmar Hirche
Wege aus der Einsamkeit e.V. möchte die Situation und Probleme von Menschen 65+ in der Öffentlichkeit sichtbar machen, aber auch positive Bilder vom Alter schaffen. Dazu fördert der Verein bundesweit Projekte und setzt eigene um. Das Hauptprojekt ist seit acht Jahren die Teilhabe von Menschen 65+ an der digitalen Welt. Ein Thema, das in der Corona-Pandemie so wichtig wie nie zuvor geworden ist. Oskar hat mit der Vorstandsvorsitzenden Dagmar Hirche gesprochen.
oskar: In der Pandemie ist besonders deutlich geworden, wie sehr unsere Gesellschaft inzwischen auf digitale Kommunikation angewiesen ist. Der sichere Umgang mit digitalen Medien (Geräte und Programme/Apps) ist daher ein wichtiges Mittel, um der Einsamkeit zu entgehen. Ihr Verein setzt sich für die Teilhabe von Menschen 65+ an der digitalen Welt ein. Wie sieht das genau aus?
Dagmar Hirche: Unsere Welt wird immer digitaler und wir müssen dabei unbedingt alle Menschen mitnehmen. Als Verein setzen wir uns für Menschen 65+ ein, damit sie nicht den Anschluss verlieren. Denn die Umstellung von analog auf digital beschränkt sich nicht auf den Freizeitbereich und die Kommunikation mit Familie und Freunden. Der digitale Impfpass ist das jüngste Beispiel dafür. Auch Ämter und Behörden stellen Informationen digital bereit, Termine müssen online vereinbart werden oder Anträge im Internet gestellt werden. Bahntickets, Konzertkarten oder Museumstickets sind immer schwerer an Schaltern zu bekommen. Dies und vieles mehr zeigt, wie notwendig ein kompetenter Umgang mit digitalen Angeboten für die gesellschaftliche Teilhabe heute ist. Wir haben unsere eigenen Schulungsangebote, wie kostenfreie Gesprächsrunden unter dem Motto „Wir versilbern das Netz“. Dort können Menschen ab 65 Jahren das 1×1 der Tablets und Smartphones lernen. Dazu berichten wir auch über andere Angebote, aber wir stellen vor allem laut und deutlich Forderungen an Politik und Unternehmen: Es muss überall kostenfreie Schulungsangebote für Menschen 65+ geben. Digitale Bildung darf diese Menschen nicht vergessen und digitale Bildung muss von allen angeboten oder finanziert werden, die digitale Angebote machen.
Wie viele Menschen engagieren sich denn im Verein „Wege aus der Einsamkeit“ und sind die alle ehrenamtlich tätig?
Bei Wege aus der Einsamkeit sind alle ehrenamtlich aktiv, es gibt keine Hauptamtlichen. Der Verein ist auch aus einer privaten Initiative entstanden. Zurzeit sind es zwölf Ehrenamtliche. Dazu kommen noch die Firmen, die uns pro bono unterstützen.
Wie sind Sie eigentlich selbst auf die Idee gekommen, den Verein zu gründen und sich zu engagieren?
Es ging und geht mir und meinen Mitgründer:innen immer gut und wir wollten der Gesellschaft etwas zurück geben. Bei der Planung haben wir das Thema demografischer Wandel schon gesehen aber er war in der Öffentlichkeit kaum sichtbar. Auch war uns das Image vom Alter viel zu negativ besetzt. Wir haben dann eine Bedarfsanalyse erstellen lassen, um zu schauen: wie wird das Thema in Deutschland und Europa besetzt und von wem. Aus den Erkenntnissen haben wir dann unseren Verein gegründet.
Wie haben die Pandemie und die Kontaktbeschränkungen die Arbeit verändert? Sicherlich durften Kurse und Treffen nicht mehr vor Ort stattfinden.
Das stimmt, aber wir haben uns bereits im März 2020 entschlossen, alle Angebote auf Zoom anzubieten. Zoom ist ein Programm im Internet, mit dem sich viele Menschen gleichzeitig per Video und Ton treffen können. Wir nennen unser Angebot „Zoom Versilberer Runden“. Natürlich waren nicht alle, die teilnehmen wollten, mit dem Programm vertraut. Also haben wir Erklär-Videos gedreht, telefonische Hilfestellung angeboten und los gelegt. Bis heute haben wir über 10.000 Gäste zwischen 65 und 95 Jahren aus ganz Deutschland in unseren 400 Zoom Versilberer Runden begrüßt. Wir bieten Sitztanz, Sitzyoga, Schulungen, Spiele-Workshop, Partys, Info-Veranstaltungen, Präsentationen, Kochen, Lesungen und vieles mehr digital an. Auch wird unser Zoom Versilberer Raum als digitaler Treffpunkt und zum Klönen genutzt, da er 24 Stunden geöffnet ist.
In Ihrer Nutzerstatistik ist zu lesen, dass ca. 90 Prozent der Teilnehmenden Frauen sind. Können Männer schon alles, trauen sie sich nicht oder finden sie ihre Informationen an anderer Stelle?
Die Gründe sind vielfältig. Frauen leben statistisch länger als Männer und übernehmen dann Aufgaben, die ihre Ehemänner sonst immer erledigt haben. Frauen sind auch oft kommunikativer und interessieren sich mehr für unsere Angebote. Nicht zuletzt fällt es Frauen leichter als vielen Männern, sich Hilfe zu suchen, wenn sie etwas noch nicht können. Inzwischen steigt aber auch bei unseren Kursen und Treffen der Anteil männlicher Teilnehmer.
Wir alle kennen Menschen – egal welchen Alters – die sich bisher nicht an Smartphone, Tablet, Email oder Chat-Programme wagen. Haben Sie Tipps, wie wir unsere Freunde oder Familienangehörigen für die digitale Welt begeistern können?
Unbedingt mit kleinen Schritten. Nur das zeigen, was die „Verweigerer“ interessiert und darauf aufbauen. Zu sagen, da kannst Du sooo viel mit machen, ist gar nicht hilfreich. Kleine Leckerbissen können viel besser neugierig machen. Ob das die Bilder der Enkel in der Familien-Chatgruppe sind, oder Sitztanz in unserer Zoom Versilberer Runde. Ganz wichtig sind die Geduld, der Spaß und die Langsamkeit.
Der Verein hat seinen Sitz in Hamburg. Es gibt aber auch Projekte in anderen Regionen. Was wird denn in Berlin angeboten und wie können Interessierte teilnehmen?
In Berlin haben wir seit 2017 bis zum Ausbruch der Pandemie mittwochs unsere kostenfreien Gesprächsrunden „Wir versilbern das Netz. Das 1×1 der Tablets/Smartphones für Menschen 65+“ angeboten. Dann wurde alles auf die digitalen Runden umgestellt. Ab August starte ich aber wieder mit analogen beziehungsweise hybriden analog+digital Veranstaltungen. Die Nachfrage ist riesig, sich analog schulen zu lassen. Menschen 65+ müssen sich dafür telefonisch oder per Mail anmelden und sie müssen geimpft, genesen oder getestet sein, wenn sie vor Ort teilnehmen wollen.
Kontakt:
info@wegeausdereinsamkeit.de
Telefon: 040-42236223200
Dieser Beitrag entstand in der Redaktion Zeigen, was geht!
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