Die Fragen stellte Peter Breitfeld Fotos: IN VIA
IN VIA heißt „auf dem Weg“. Diesen Namen hat sich der Katholische Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit für das Erzbistum Berlin e.V. gegeben. Wichtiges Kernanliegen des Vereins ist es, vor allem Mädchen und jungen Frauen auf der Grundlage christlicher Werte zu helfen und zu unterstützen. In Berlin-Lichtenberg ist IN VIA mit einem offenen Mädchen- und Frauentreff, einem Patenschaftsprojekt sowie einem Kinderkleiderladen im Stadtteil Karlshorst präsent. Über Ziele und aktuelle Projekte sprach oskar mit Maria Iglesias, Koordinatorin des Patenschaftsprojektes.
oskar: Wer sich auf den Weg macht, hat einen Startpunkt und braucht auch Ziele. Wann und wo hat der Weg von IN VIA begonnen? Mit welchen Zielen ist der Verein gestartet, und was macht IN VIA heute aus?
Maria Iglesias: Vor über 125 Jahren kamen junge Frauen nach Berlin, um Arbeit zu finden. Manche wurden direkt am Bahnhof in die Ausbeutung und Zwangsprostitution gelockt. Um diesen Frauen dauerhaft zu helfen, wurden Bahnhofsmissionen gegründet und Unterstützungsangebote initiiert. Bildung für junge Menschen, Schutz für Mädchen und Frauen, Hilfe für Reisende sind die grundlegenden Themen von IN VIA. Der Verein macht sich selbst immer wieder auf den Weg, um neue Ansätze und Projekte zu entwickeln, die dem jeweils aktuellen Bedarf entsprechen. Deshalb haben sich um diesen Kern viele sinnvolle weitere Angebote angesiedelt, die in der Regel Frauen und Männern gleichermaßen offen stehen. Sie bilden ein ganzheitlich gedachtes Konzept.
Die aktuellen Angebote sind neben denen in Berlin-Karlshorst unsere Bahnhofsmissionen in Berlin am Hauptbahnhof und am Ostbahnhof. Unterwegs sind in Berlin auch unsere „Mutmacher am Bahnhof“. Ebenso gibt es von uns in der Hauptstadt einen Flughafensozialdienst. In Berlin und im Land Brandenburg unterhalten wir eine Koordinations- und Beratungsstelle für Frauen, die von Menschenhandel betroffen sind. Bekannt sind die IN VIA-Angebote für den Bundesfreiwilligendienst (BFD) und für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) jeweils im Erzbistum Berlin. In Berlin-Wedding kennen viele unseren Jugendmigrationsdienst. Mit Streetworkern sind wir im Land Brandenburg und in der grenznahen Region zu Polen unterwegs, die HIV-/Aids-Prävention und Beratung anbieten.
Wichtig ist uns auch das Angebot „Mein PlanB“ – das ist ein Online-Beratungsangebot zwischen Schule und Beruf.
Sprechen wir über das Engagement von IN VIA in Lichtenberg. Sie sind ja im Bezirk mit Ihren Einrichtungen vor allem in Karlshorst präsent. Stellen Sie doch bitte die Vereins-Angebote dort etwas genauer vor.
IN VIA ist seit 1995 in dem Bezirk Berlin-Lichtenberg mit Begegnungs- und Bildungsangeboten vertreten und gewährleistet dadurch eine kontinuierliche Arbeit für Mädchen, Frauen und Familien im Bezirk Lichtenberg. Die Einrichtung des Mädchen- und Frauentreffs sowie des Patenschaftsprojekts „Wegbegleiter“ befindet sich in dem Generationenhaus „Alte Schule“ in der Gundelfingerstraße 11. Am Standort im Ortsteil Karlshorst des Bezirkes arbeiten Haupt- und Ehrenamtliche in einem multiprofessionellen Team zusammen.
In den Mädchentreff kommen Mädchen mit und ohne Fluchthintergrund zwischen 8 und 18 Jahren, um Freundinnen zu treffen und den Nachmittag gemeinsam zu verbringen. Nähen, Upcycling, Bewegung, Spiele – im Mädchentreff kann man alles Mögliche ausprobieren, lernen und mitmachen. Dabei ist immer jemand für die Mädchen da, wenn sie Hilfe brauchen, ob bei den Hausaufgaben oder wenn es Probleme gibt: mit anderen, zu Hause, in der Schule oder in der Ausbildung. Sie werden bei der Suche nach einem Praktikum oder in allen Fragen rund um das Berufsleben unterstützt. In den Ferien gibt es Fahrten, Aktionen und Ausflüge. Das Angebot findet von Montag bis Freitag statt.
In den Frauentreff kommen Frauen ab 18 Jahren und in jeder Lebensphase, mit oder ohne Migrationshintergrund, um andere zu treffen. Hier gibt es Austausch, Bewegung, Entspannung und – wer will – auch Beratung. Für die jüngeren Frauen geht es um Themen wie Berufswahl oder Entlastung, wenn sie kleine Kinder haben. Ab der Lebensmitte orientieren sich Frauen häufig neu. Wo stehe ich, wer bin ich, wo will ich hin, nachdem die Kinder aus dem Haus sind? Wenn der Partner vielleicht nicht mehr da ist? Es stellt sich die Frage nach dem Sinn des Lebens und nach neuen Zielen. Im Frauentreff in Karlshorst ist Raum für Gespräche und Begegnung, um diese Themen zu besprechen, im offenen Treff, in der Kreativgruppe, bei Ausflügen in der Stadt oder bei Bewegung – gemeinsam macht alles mehr Freude und alles wird leichter.
Zweimal in der Woche findet eine Kinder-Krabbel-Gruppe statt. Hier können sich Mütter und Väter ausruhen, durchatmen und sich mit Anderen in ähnlichen Situationen austauschen. Bewegungsangebote ermöglichen es den Kindern, sich auszutoben und zu lernen, mit sich selbst und anderen umzugehen, während die Eltern unter sich sein können oder das Gespräch mit Beraterinnen suchen. Es erfolgt auch eine Beratung der Eltern in allen Fragen der Erziehung.
Jeden Montag zwischen 14 und 17 Uhr lädt das Willkommenscafé von IN VIA ein. Hier treffen sich Frauen, Mädchen und Kinder mit und ohne Fluchthintergrund. Es wird sich ausgetauscht, kennengelernt, hier können Deutschkenntnisse vertieft werden. Es gibt Kochangebote oder auch Informationen zu Themen wie Kommunikation, Bewerbung oder Kinderrechte. Ebenso werden Sport- und Bewegungsaktivitäten sowie Basteln angeboten.
An jedem zweiten Sonntag im Monat findet zudem ein Familientreffen statt. Das offene Angebot ist eine Zusammenarbeit des Mädchen- und Frauentreffs mit dem Patenschaftsprojekt von IN VIA.
Und es gibt einen Kinderkleiderladen in der Marksburgstraße 38. Hier können gebrauchte Kinderkleidung, Spielsachen und Bücher gegen ein geringes Entgelt erworben werden. Derzeit engagieren sich dort 10 ehrenamtliche Frauen aus Berlin-Lichtenberg. Der Kinderkleiderladen ist nicht nur Verkaufs-, sondern auch und vor allem ein Begegnungsort geworden – ein Treffpunkt von Bürgerinnen und Bürgern.
Auf dem Weg ist man ungern allein. Das war vielleicht auch der Grund dafür, dass ein Projekt des Vereins „Wegbegleiter“ heißt. Welches Anliegen verfolgt dieses Projekt?
IN VIA vermittelt Patenschaften zwischen Berliner*innen und Kindern mit Fluchthintergrund und deren Familien. Etliche Kinder und ihre Familien, die durch Flucht nach Deutschland gekommen sind und mittlerweile in Lichtenberg leben, wünschen sich Begegnung mit und Kontakt zu ihren Nachbar*innen. Eine junge Frau aus Syrien, die mit ihren drei Kindern aus Damaskus geflohen ist, sagte uns vor kurzem: „Hier in Deutschland fehlen uns leider unsere Verwandten und die familiären Netzwerke. Bei IN VIA haben wir eine neue ‚Familie‘ und viele Freunde gefunden.“ Die Patenschaftstandems treffen sich zum regelmäßigen Austausch und zu gemeinsamen Aktivitäten, zum Beispiel gemeinsame Freizeitgestaltung, Stadterkundung, Förderung der deutschen Sprache und Nachhilfeunterricht.
Welche Voraussetzungen müssen denn die Paten mitbringen? Für welche Dauer ist man dann Pate und welcher Zeitaufwand ist damit verbunden? Diese Fragen bekommen Sie von Interessierten sicher immer wieder gestellt.
Wichtig ist für eine Patenschaft Neugier und Interesse, sich auf andere Menschen einzulassen. Der Zeitumfang kann sich sehr unterschiedlich gestalten. Es ist von ca. 1-2 Stunden pro Woche auszugehen. Die Pat*innen sind Ansprechpartner*innen für Alltagsfragen und verbringen vor allen Dingen die Freizeit miteinander. Zum Beispiel gemeinsames Kochen, Sport, Kino, Ausstellungen oder auch Sprachförderung oder Nachhilfe. Die Patenschaften bestehen mindestens sechs Monate. Es ist ein erweitertes Führungszeugnis notwendig. IN VIA unterstütz und begleitet während dieser Zeit.
Frau Iglesias, wenn IN VIA die Patenschaften begleitet, welche Rückmeldung bekommen Sie da? Was ist das Besondere, vielleicht auch das besonders Schöne an solch einer Patenschaft?
Während einer Patenschaft steht man nicht alleine da. Als Koordinatorin des Patenschaftsprojekts „Wegbegleiter“ vermittle und begleite ich die Patenschaften. So erhalten die Pat*innen gute fachliche Vorbereitung und eine zuverlässige und individuelle Begleitung. Aus vielen dieser Patenschaften sind schöne Freundschaften geworden. Dank dieser Patenschaften fühlen sich die Familien wohl in Berlin, und sie wollen der deutschen Gesellschaft etwas zurückgeben – mittels ihrer Arbeit und durch ehrenamtliches Engagement. Eine Patenschaft bedeutet auch für die Pat*innen viel Positives: Sie treffen interessante Menschen, die Ihnen einen anderen Blickwinkel zeigen. Sie lernen andere Lichtenberger*innen kennen, die sich als Pat*innen engagieren und unternehmen auch mit denen etwas gemeinsam.
Derzeit sind ja die Meisten eher auf Abstand und wenig Begegnung bedacht. Ihre Projekte leben aber eher von Gemeinsamkeit und Nähe. Wie haben Sie sich auf die Corona-Bedingungen eingestellt und was geht trotzdem?
IN VIA sucht weiterhin engagierte Menschen, die ein Kind und seine Familie begleiten möchten. Diese Unterstützung hilft den Kindern, Jugendlichen und Familien, soziale Isolation zu vermeiden, ihr Selbstvertrauen zu stärken, den Spracherwerb zu fördern und eine soziale Wertschätzung zu erfahren. Eine Frau aus Lichtenberg, die sich als Patin um eine palästinensische Familie kümmert, sagte uns, dass „die Kinder eine Brücke in die deutsche Gesellschaft sind und es wichtig ist, dass die Kinder sich wohl fühlen und Unterstützung bekommen.“
Während der bestehenden Einschränkungen durch die Corona-Schutzmaßnahmen verlief die Kommunikation zwischen der Koordinatorin, den Pat*innen und den Patenkinder vor allen Dingen über Telefon, E-Mail, WhatsApp, Zoom, Video-Calls u.ä. Die Bedarfe der Kinder bestanden vorrangig bei der Unterstützung bei der Online-Kommunikation, der digitalen Schule und des Wechselunterrichts, Informationen zum Testen und zur Hygiene bzw. Information über die Corona-Regeln. Uns war es ganz wichtig, dass wir unsere aktiven Paten*innen und Patenkinder unter den schwierigen Corona-Bedingungen weiter betreut haben. Und den Ausbau von Online-Angeboten durch IN VIA forciert haben, z.B. durch das Einstellen von Bastelvideos auf dem IN VIA Youtube-Kanal oder dem Austausch in einem virtuellen Sprachcafé für Frauen und Kinder per Zoom, Jitsi.
Nun, nach der schrittweisen Öffnung, sind es vor allem Begegnungs-, Austausch-und Bewegungsaktivitäten im Freien, die wir anbieten. Wir hoffen, dass es nicht im Herbst zu einer weiteren Welle und erneuten Einschränkungen kommt. Durch die bisher gemachten Erfahrungen sind wir allerdings zuversichtlich, auch dies zu meistern.
Kontakt und weitere Informationen:
Maria Iglesias
IN VIA Patenschaftsprojekt Wegbegleiter
Gundelfinger Str. 11, 10318 Berlin
Tel.: +49 (0) 30 50 10 26 – 30
Dieser Beitrag entstand in der Redaktion Zeigen, was geht!
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