#oskarRedetMit – Heike van der Schoor und Grazyna Gierasimczuk

Die Fragen stellte Peter Breitfeld, Fotos: Wohnungslosenunterkunft PaulGesche9


Werden denn die Hühner im PaulGesche9 zurück sein? Das ging mir so durch den Kopf, als ich mir die Fragen für ein zweites Interview mit Vertreter:innen der Wohnungslosenunterkunft in der Lichtenberger Paul-Gesche-Straße 9 überlegte. Das erste Interview hatte ich Ende Oktober 2021 geführt. Da waren gerade Bauarbeiten in der Wohnungslosenunterkunft im Gange und die Hühner im Exil in der Nähe von Guben. Die sollten nicht unter dem Baulärm leiden. Wären sie zurück, wäre das ja ein gutes Zeichen. Lesen Sie doch, was Heike van der Schoor von der Hausleitung und Grazyna Gierasimczuk vom Sozialteam im PaulGesche9 zu berichten haben.

oskar: Als wir das erste Interview geführt haben, das war im Herbst 2021, da steckte die Wohnungslosenunterkunft noch mitten in Sanierungsarbeiten. Sind die inzwischen abgeschlossen? Und sind die PaulGesche9-Hühner wieder wohlbehalten zurück?
Eone Fassade mit baugerüst und weißer Plane
Alle warten drauf, dass die Hüllen fallen

Heike van der Schoor: Nein, leider sind die Sanierungsarbeiten immer noch nicht abgeschlossen. Die Fassadenarbeiten dauern noch an. Und auch im Inneren sind noch nicht alle Arbeiten erledigt. Die Sanierung erfolgt ja in zwei Phasen. Im Juni 2022 sind die Bewohner:innen in den bereits sanierten Teil des Hauses umgezogen. Und wir konnten ihnen die neu gestalteten Küchen und Bäder übergeben. Der Umzug mit den 110 Bewohnenden war schon ein sehr großer Kraftakt. Aber mit Unterstützung der Bewohner:innen, einem Umzugsunternehmen und allen Mitarbeiter:innen unseres Trägers, der Berliner Wohnforum GmbH (BWF), war es in fünf Tagen geschafft.
Im noch nicht sanierten Teil des Hauses ging es dann mit der Sanierung weiter. Da sind die Arbeiten inzwischen weitgehend abgeschlossen. Ja, und wie gesagt jetzt sind die Fassaden noch dran.
Grazyna Gierasimczuk: Was die Hühner betrifft, kommen die leider nicht zurück. Sie hatten inzwischen alle ihr Lebensalter erreicht und zum Schluss noch eine sehr schöne Zeit auf einer großen Wiese in der Nähe von Guben. Schade ist es, denn die Hühner waren auch ein wenig zum Bindeglied in die Nachbarschaft geworden. Anwohner freuten sich, dass sie da waren. Kinder der naheliegenden Kitas haben sie besucht und hatten Spaß dabei.

Waren denn die Sanierungsarbeiten von vornherein so lange geplant oder was hat zu den langen Bauarbeiten geführt?

Heike van der Schoor: Nein. Geplant war lediglich eine Brandschutzsanierung. Während der Baumaßnahmen wurde jedoch die Notwendigkeit gesehen, weitergehende Sanierungsmaßnahmen durchzuführen. Das Bauvorhaben ist quasi „gewachsen“.

Mit den 110 Bewohner:innen ist das Haus sicher gut ausgelastet, wenn man bedenkt, dass durch die Sanierung nicht die volle Kapazität zur Verfügung steht. Wo kommen die Menschen her, die im PaulGesche9 eine Bleibe suchen? Und wie lange wohnen sie so im Schnitt im Haus? Gibt es da eine Dauerbegrenzung?
Musiker in legärer Kleidung sitzen im Halbkreis draußen unter einem Plastikdach
Blechbläser-Quintetts der Berliner Symphoniker spielt auf

Grazyna Gierasimczuk: Die Bewohner kommen aus allen Lebens- und Kulturbereichen. Derzeit haben wir Menschen aus 38 Nationen bei uns. Die Verweildauer ist sehr unterschiedlich. Gedacht ist eigentlich, dass die Bewohner so schnell wie möglich in Wohnraum gelangen und bei uns lediglich übergangsweise leben. Aufgrund der bekannten Wohnungssituation in Berlin ist das jedoch eher unrealistisch.

Die Bewohner kommen aus allen Lebens- und Kulturbereichen. Derzeit haben wir Menschen aus 38 Nationen bei uns.

Grazyna Gierasimczuk, arbeitet im Sozialteam der PaulGesche9

Und so kommt es dann auch, dass die Verweildauer sehr unterschiedlich ist. Die Wohnungslosenunterkunft kann für ein paar Tage, aber auch über Jahre als Aufenthaltsort genutzt werden. Eine Dauerbegrenzung gibt es nicht. Einige Bewohner leben hier bereits seit 2007. Für sie ist das Haus ihr Zuhause, aus dem sie auch nicht mehr ausziehen wollen. Für uns sind diese Bewohner Konstanten, die mit dazu beitragen, dass das Haus familiärer und ruhiger bleibt.

Wenn Sie eine Chronik über die PaulGesche9 schreiben würden, was müsste da für das Jahr 2022 unbedingt drin stehen?

Heike van der Schoor: In der Chronik müssten auf jeden Fall die weitergehenden Bauarbeiten, der Umzug sowie die Verständnissuche bei den Bewohnern für die Lärmbelästigung durch die Bauarbeiten stehen. Bei einem solch komplexen Sanierungsvorhaben, würde das selbstverständlich auch Seiten der Chronik füllen.
Grazyna Gierasimczuk: Ein kulturelles Highlight gab es aber auch. Das war ganz bestimmt der Auftritt des Blechbläser-Quintetts der Berliner Symphoniker am 6. April 2022 für unsere Bewohner.

Mehrere Stapel Pappkartons und bunte Pakete
Alles gut verpackt – so geht Umzug
Wie kam denn der Kontakt zu den Musikern zustande? Und wird es bei diesem einmaligen Konzert bleiben?

Grazyna Gierasimczuk: Die Initiative „MusikerFürMusiker“ ist auf uns zugekommen. Das ist eine Kampagne, die in der Corona-Pandemie entstanden ist. Fest angestellte Musiker:innen geben ehrenamtlich Konzerte in ganz unterschiedlichen sozialen Einrichtungen, so eben auch bei uns in der Wohnungslosenunterkunft. Es besteht eventuell die Möglichkeit, ein solches Konzert noch einmal durchzuführen. Das würde uns natürlich freuen.

Das Jahr 2022 hatte es ja in sich – mit dem Krieg in der Ukraine und seinen Folgen, den gestiegenen Energiekosten und den Preissteigerungen allerorts, mit der Corona-Pandemie, die noch nicht restlos vorbei ist. Und das alles beschäftigt uns ja nach wie vor. Wie macht sich das bei Ihnen im Haus bemerkbar und wie werden Sie damit fertig?

Heike van der Schoor: Corona hat uns nicht ganz verschont. Trotz strenger Hygienebestimmungen und Coronamaßnahmen, die weitgehend befolgt wurden, hatten wir im März 2022 einige Coronafälle im Haus. Die Bewohner sind sehr diszipliniert mit den Quarantänebestimmungen umgegangen. So konnten wir eine Verbreitung innerhalb des Hauses vermeiden.

Berlin hat wohl mit die meisten Menschen aus der Ukraine aufgenommen, die dort vor dem russischen Angriffskrieg geflüchtet sind. Sind bei Ihnen in der Wohnungslosenunterkunft auch Geflüchtete untergekommen?

Heike van der Schoor: Nein. Es gab einige Zuweisungen durch das Bezirksamt. Aber eingezogen in unser Haus sind keine Geflüchteten aus der Ukraine. Viele kommen bei Landsleuten unter, die in Berlin leben. Oder bei Freunden und Bekannten. Sie können sich ja frei bewegen. Und die baulichen Arbeiten bei uns im Objekt werden wohl auch nicht so richtig gefallen haben.

Aufgrund der Sanierungsarbeiten waren die Möglichkeiten für ehrenamtliches Engagement eingeschränkt. Hat sich das in zwischen geändert? Wobei oder wie können sich Interessent:innen im PaulGesche9 engagieren?

Grazyna Gierasimczuk: Wir hoffen ja, dass die Sanierungsarbeiten in 2023 abgeschlossen werden können. Der Gemeinschaftssaal wird Ende Februar 2023 den Bewohnern wieder zur Verfügung gestellt. Ab diesem Zeitpunkt können wir dann auch mit der Planung und Koordinierung von Projekten für die Bewohner beginnen. Und da ist dann auch wieder ehrenamtliches Engagement bei uns gefragt und gewünscht.

Das neue Jahr ist noch jung. Da kann man sich noch was wünschen. Was wünschen Sie sich denn für das Haus und seine Bewohner für 2023? Was wollen Sie mit ihrem Team unbedingt erreichen?

Heike van der Schoor: Wir wünschen uns ein vollständiges Ende der Bauarbeiten, die auch für unsere Anwohner:innen sehr belastend sind. Wenn die zu Ende sind können wir wieder richtig loslegen. Wir freuen uns auf Projekte für und mit den Bewohnern, auch sehr gerne in Kooperation mit Initiativen aus Lichtenberg. Ja, und natürlich wünschen wir uns ein friedvolles Zusammenleben. Das schließt auch Toleranz für die Situation ein, in der sich Menschen wie die Bewohner der PaulGesche9 gerade befinden, und Chancengleichheit für sie zum Beispiel beim Finden von Wohnraum und von Jobs.

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Mehr Infos zu Wohnungslosenunterkünften bei dem Berliner Wohnforum


Dieses Interview entstand in der Redaktion Zeigen, was geht!
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