#oskarRedetMit – Sabine Pöhl, Diversity- und Queerbeauftragte

Die Fragen stellte Peter Breitfeld                                           Fotos: Sabine Pöhl

Zum Stichwort Bezirksamt denkt so mancher an lange Wartezeiten beim Bürgeramt und bei der KFZ-Zulassung. Oder auch an das gerade erhaltene Knöllchen vom Ordnungsamt wegen Falschparken. Dass es dort auch Personen gibt, die für das Thema Diversity zuständig sind, wissen die Wenigsten. Sabine Pöhl ist das in Lichtenberg. Wir sprachen mit ihr über ihre Erfahrungen und Aufgaben.

oskar: Nicht jedem wird Diversity etwas sagen. Wofür steht denn der Begriff?

Sabine Pöhl: In meiner Arbeitswelt bezieht sich Diversity auf die Vielfalt von Menschen bezogen auf gruppenbildende Eigenschaften wie Geschlecht, Alter, Nationalität, Ethnie, Herkunft. Zu nennen sind unter anderem auch sexuelle Orientierung und Identität, familiäre bzw. Lebens-Situation. Ebenso Religion, Weltanschauung, Gesundheit, Behinderung oder Funktion. Nicht zuletzt hat jeder Mensch individuelle Merkmale wie Werte, Einstellungen, Interessen, Verhalten usw.

Und was heißt das für Sie in einer Verwaltung? Welche Aufgaben haben Sie, worum kümmern Sie sich?

Lichtenberg ust bunt. Die Regenbogenfahne in diversen Kontexten: gehisst vor dem Rathaus und mit Kreide auf den Boden gemalt

Im Rahmen der Verwaltung heißt das, alle Mitarbeitende zu beteiligen, zu wertschätzen, zu respektieren und für viele persönliche Lebensumstände Angebote zu entwickeln. Dabei fällt vielen wohl sofort das Thema Homeoffice ein. Dafür bin ich aber nicht zuständig. Mit meiner Arbeit versuche ich Grundlagen zu schaffen, um die Frage zu beantworten: Wie Vielfältig ist die Lichtenberger Verwaltung im Jahr 2021? Was müssen wir innerhalb der Verwaltung tun, um zum Beispiel die politische Forderung umsetzen zu können, mit unserer Belegschaft ein Abbild der Berliner Bevölkerung zu sein. Basis dafür ist das gerade erst beschlossene Gesetz zur Förderung der Partizipation in der Migrationsgesellschaft (PartMigG), dass die Repräsentanz von Personen mit Migrationsgeschichte gemäß ihrem Anteil an der Berliner Bevölkerung in der Berliner Verwaltung sicherstellen soll. Solche Forderungen aufzugreifen und entsprechende Maßnahmen zu entwickeln, gehören zu meinem Aufgabengebiet. Aber auch das Berliner Landes-Antidiskriminierungsgesetz (LADG) ist Grundlage meiner Arbeit. So können sich Bürger:innen an mich wenden, wenn Sie sich durch die Arbeit der Verwaltung oder durch „Dritte“ diskriminiert fühlen. Gleichzeitig berate ich Mitarbeiter:innen, wenn Diskriminierungsvorwürfe im Raum stehen.

Neue Arbeitsgruppen haben sich mit meinem Aufgabengebiet entwickelt. Nennen möchte ich die AG „Queer Lichtenberg“ und die AG „Alter und Vielfalt“. Da geht es um Angebote und Maßnahmen für Menschen, die in Lichtenberg leben, wohnen oder arbeiten. Geplant sind aktuell neben Veranstaltungen auf der Trabrennbahn Karlshorst auch Fachtage und Sensibilisierungskurse in Zusammenarbeit mit der Schwulenberatung Berlin gGmbH oder dem Verein LesLeFam e.V.

Über meine Arbeit und vor allem über die Angebote kann man sich auf der Internetseite des Bezirksamtes Lichtenberg informieren.

Wie sind Sie Diversity- und Queerbeauftragte geworden? Waren Sie bereits im Bezirksamt tätig und sind auf die Stelle gewechselt? Oder haben Sie sich direkt von Außen beworben? Was finden Sie spannend an der Aufgabe?

Ich bin nunmehr seit 35 Jahren im Bezirksamt Lichtenberg tätig. Heute würde man sagen, ich bin eine Quereinsteigerin. Gelernt habe ich den Beruf einer Zootechnikerin. Im Anschluss folgte das Studium zur Agra-Ingenieurin. 1986 wechselte ich vom Dorf zurück in die Stadt und bin hier, nahe meines Geburtsortes sesshaft geworden. In den letzten 3-jahrzenten war ich in verschiedenen Arbeitsgebieten der Lichtenberger Verwaltung tätig. Egal ob Katastrophenschutz, Naturschutz, Stadtteilmanagement oder Datenkoordination – ich habe in allen Aufgabengebieten gerne und vor allem mit Menschen gearbeitet. Im Jahr 2000 schloss ich mein Studium als Diplom-Betriebswirtin mit dem Schwerpunkt Personal- und Organisationswesen ab. Im Jahr 2017 folgte ein Masterstudium, dass ich für die Vorbereitung auf meine jetzige Tätigkeit nutzen konnte. Gleichzeitig besuchte ich eine Fortbildungsreihe für Diversity-Ansprechpersonen in der Berliner Verwaltungen. Seit mehreren Jahren arbeite ich in Arbeitsgruppen des Landes Berlin zu den Themen Diversity und Chancengleichheit (Berlin braucht Dich!) mit. Zusammen mit der AG Diversity Friedrichshain-Kreuzberg arbeite ich an einem Diversity-Konzept, dass die Umsetzung des Berliner Diversity Leitbild auf Bezirksebene zum Ziel hat. Hier darf ich den Prozess eng begleiten und auch moderieren.

Sie fragen mich was daran spannend ist? Es sind die vielen Menschen mit denen ich zusammenarbeiten kann. Es sind die Fragestellungen und Probleme die das Zusammenwirken und das Miteinander in der Verwaltung hinterfragen. Es sind die kleinen Veränderungen im Arbeitsalltag, die ich seit meinem Start im September 2020 erlebe. Es ist der Zuspruch und die Unterstützung die ich durch Kollegen: innen erfahre. Und es macht letztendlich viel Spaß mit Ehrenamtlichen etwas für die Vielfalt im Bezirk und für die queere Community in Lichtenberg zu tun.

Eindrücke von der Marzahn-Pride

Sie sind im Bezirksamt Anlaufpunkt für Menschen, die Opfer jeglicher Form von Diskriminierung geworden sind. Wie oft kommen denn Lichtenberger:innen zu Ihnen und erbitten Ihre Hilfe? Und um welche Fälle der Diskriminierung geht es dabei?

Jeder Mensch der in seinem Leben Diskriminierung erfahren muss, ist einer zu viel. Ob Mobbing, Ausgrenzung oder verbale und körperliche Gewalt gegenüber Personen, es sind oft schleichende Prozesse im Arbeits- oder Wohnumfeld, die zu einer Form der Diskriminierung führen. In den letzten 6 Monaten konnte ich drei Menschen persönlich beraten. Genauso viele Anfragen gab es aus der Verwaltung heraus. Hier betraf es vor allem Fragen zum Personenstandsgesetz, zur Anwendung des Landesantidiskriminierungsgesetzes und die Frage wie „Gendergerechte Sprache“ in Texten einfließen kann.

Für die Beratung wird es wichtig sein, dass der Bezirk Lichtenberg noch in diesem Jahr eine Beschwerdestelle nach LADG einrichtet. Damit wird es für die Bürger:innen einfacher und sichtbar sein, wo sie sich vertrauensvoll an das Bezirksamt hinwenden können, wenn sie Diskriminierung erfahren oder Zeugen von diskriminierenden Handlungen werden.

In meiner Arbeit sehe ich jedoch neben der Beratungstätigkeit den größten Schwerpunkt in der Prävention. Dazu gehören das Angebot von Diversity Sensibilisierungs- und Trainingsmaßnahmen für alle Mitarbeitende des Bezirksamtes wie auch offene Fachtage und Workshops für Unternehmen in Lichtenberg. Durch neue Kultur- und Begegnungsangebote möchte ich mithelfen, die Vielfalt der Lichtenberger:innen auch in den Stadtteilen und Kiezen sichtbar zu machen.

Für Vielfalt und gegen Diskriminierung einzutreten, das geht am wenigsten im Büro. Sie sind sicher viel unterwegs, arbeiten in Netzwerken. Wer sind Ihre Partner? Mit wem arbeiten Sie zusammen?

Nun ganz so ist es nicht. Durch die Corona-Pandemie sind viele Treffen ins Internet verlegt worden oder es kam zu telefonischen Absprachen. Seit Juni diesen Jahres ändert sich ganz langsam das Bild und es kommen zunehmend neue Kontakte zu Partner:innen oder Netzwerken dazu. Ein fester Partner von Anfang an ist der Verein LebenLesbenFamilie e.V., der seit 2019 seinen Sitz in Lichtenberg hat. Im Januar 2021 gründete sich die AG Queer, die aus Privatpersonen, aber auch aus Vertreter:innen der Lichtenberger Trägerlandschaft besteht. Darüber hinaus gibt es eine Zusammenarbeit mit der Stiftung Stadtkultur, mit Lichtblicke e.V., mit der Schwulenberatung Berlin gGmbH, mit LesMigras e.V. und ganz neu mit dem Verein Quarteera e.V., der in Marzahn-Hellersdorf Veranstaltungen zum CSD organisiert. Es gibt Projekte mit dem SchwuZ, dem Büro 55+, der Volkssolidarität u. a. Partner:innen. Nicht vergessen möchte ich die Senatsverwaltungen für Finanzen und Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung. Hier startet nun aktuell mit dem Partner BQN Berlin ein Diversity-Projekt mit Schwerpunkt zur Personalgewinnung. In den nächsten Monaten sind auch noch 2 Fachtage zu den Themen LSBTIQ*- Alter und Pflege und zum Thema „LSBTIQ*-Wohnen“ geplant. Mit diesen Angeboten wollen wir Partner:innen innerhalb der Pflegeeinrichtungen und bei den Wohnungsbaugesellschaften und –genossenschaften gewinnen.

Mein Ziel ist es, gemeinsam mit anderen Partner:innen eine gute und breite Angebotsstruktur für LSBTIQ*-Personen in den östlichen Bezirken zu entwickeln.

Stichwort bürgerschaftliches Engagement. Das ist in Lichtenberg bereits recht ausgeprägt und sehr vielfältig vorhanden. Viele setzten damit auch bereits deutliche Zeichen für Vielfalt und gegen Diskriminierung, für die Akzeptanz verschiedener Lebensentwürfe. Was gefällt Ihnen da schon recht gut? Wo und wofür würden Sie sich noch mehr Engagement wünschen?

Jedes Engagement ist begrüßenswert und wird gebraucht. Ich selbst engagiere mich stark für meinen Lebens- und Wohnort. Für Menschen, die sich gerne einbringen möchten, aber nicht wissen wo sie das machen können, ist die Oskar-Freiwilligenagentur eine gute Anlaufstelle.

Was ich mir wünschen würde ist, dass z. B. queere Menschen, die im Bezirk wohnen eigene Ideen laut äußern und mit dabei helfen, diese auch umzusetzen. Nur so kann Vielfalt erlebbar und sichtbar werden. Daher möchte ich im Rahmen dieses Interviews noch einmal für die Mitarbeit in der AG Queer Lichtenberg werben. Wir suchen Menschen die gerne Wandern, Karten spielen, Vorlesen möchten oder ganz einfach ein Picknick zum Kennenlernen organisieren. Wer dazu Lust hat, kann am 27. September 2021, 17:00 Uhr in den Rathauspark kommen. Da trifft sich die AG zu ihrem ersten Picknick und lädt Interessierte gerne dazu ein.

Dieser Beitrag entstand in der Redaktion Zeigen, was geht!

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