Die Fragen stellte Peter Breitfeld Fotos: DER GUTE POL
Auf unserer Erde gibt es einen Nordpol und einen Südpol. Wer sich mit Bauteilen von elektrochemischen Zellen und Batterien auskennt, der verwechselt garantiert den Pluspol nicht vom Minuspol. Und in Lichtenberg gibt es nun noch etwas ganz besonderes. In Hohenschönhausen befindet sich DER GUTE POL. Weniger bekannt? Damit sich das ändert sprach oskar mit Thomas Potyka. Der weiß alles über diesen POL.
oskar: DER GUTE POL – dieser Name für ein Zentrum der Begegnung in einem Lichtenberger Kiez ist etwas ungewöhnlich. Wie sind Sie auf diesen Namen gekommen? Und warum ist es gerade der und kein anderer geworden?
Thomas Potyka: DER GUTE POL ist der Name einer Zeitung, für die ich 2017 bis 2020 geschrieben hatte. Es sollte eigentlich nur ein Alt-Hohenschönhausener Newsletter in Zusammenarbeit mit der damaligen Stadtteilkoordinatorin Sabine Kanis werden. Nachrichten, die ausschließlich Gutes in den Blick nehmen oder das Gute im Schlechten erkennen; Reportagen und Kritiken mit naiv-ironischer Schwungkraft. Ich bekam dann eine wahnsinnige Schreiblust und es wurde eine Art Magazin, das die Grenzen Alt-Hohenschönhausens längst überschritt. Als mein Kollege Fabian Behling und ich 2020 eine griffige E-Mail für unsere Arbeit mit dem sperrigen Namen „Stadtteilkoordination“ suchten, überzeugte er mich, doch gleich unsere ganze Stadtteilarbeit DER GUTE POL zu nennen. Unsere Haltung sei schließlich entsprechend: konstruktiver und kluger Spaß mit viel Zuversicht, polarisierend, markig und natürlich gut. Und eine geeignete E-Mailadresse hatten wir dann auch gleich.
Aus anderen Lichtenberger Kiezen ist für Begegnungsstätten wie der Ihren eher die Bezeichnung Stadtteilzentrum bekannt. Sie bezeichnen sich als Stadtteilkoordination. Ist diese unterschiedliche Bezeichnung eher zufällig, oder hat sie einen tieferen Sinn?
Ein Stadtteilzentrum muss seinem Namen auch gerecht werden. Es sollte zentral liegen und als größerer Komplex mit mannigfachen Angeboten zu erkennen sein. Die Alt-Hohenschönhausener Struktur ist dezentral und sehr heterogen. Es ist bislang nicht gelungen, in dessen Mitte ein Stadtteilzentrum zu etablieren, das attraktive Begegnungsstätte für alle ist. Wir haben uns in der hiesigen Stadtteilarbeit darum vor ein paar Jahren von dem Begriff distanziert, weil wir in erster Linie zusammen mit dem Bezirksamt Lichtenberg die Entwicklungen in den Stadtteilen organisieren, koordinieren oder vielmehr inspirieren. Es geht bei uns als Stadtteilkoordination weniger um die Direktive und mehr um gelingende Kooperationen in der Trägerlandschaft und um gute Zusammenarbeit mit den Menschen, die hier wohnen und wirken. Nichtsdestotrotz begegnen wir gerne den Menschen vor Ort und wir halten auch immer wieder Begegnungsangebote in unseren Räumlichkeiten vor.
Auf der Internetseite lesen Interessierte über DER GUTE POL unter anderem: „Unser allgemeines Ziel ist, das Gemeinwesen für eine sich selbst bewusste kommunale Intelligenz zu sensibilisieren!“ Das klingt etwas abgehoben. Was meinen Sie damit und was wollen Sie erreichen?
Zugegeben: Wir bedienen uns hin und wieder der schwierigen Sprache, aber mit Absicht. Damit wollen wir uns nicht von anderen abheben, sondern auch die ansprechen, die Lust haben, sich mit schwierigen Themen in komplexer Weise zu beschäftigen und davon gibt es viele in Alt-Hohenschönhausen. Wer das ungern tut, der wird sich ohnehin nicht die vielen Texte auf unserer Homepage durchlesen. „Kommunale Intelligenz“ ist ein Begriff und gleichnamiges Buch des Neurowissenschaftlers Gerald Hüther. Unsere Arbeit entspricht sehr seinem Konzept, in dem er die Kommunen als Lernorte versteht, wo sich die Menschen vor Ort mit ihren Potenzialen frei entfalten können. Intelligent ist seiner Meinung nach eine Kommune, wenn sie Geborgenheit bietet und man dort das Gefühl hat, gebraucht zu werden. Man soll sich ausprobieren und seine Wirksamkeit spüren können und in dieser gemeinsamen Anerkennung und Rücksichtnahme darum dort auch leben bleiben und ggf. Familien gründen wollen. Hüther vergleicht ein starkes Netzwerk in einer Kommune, also in einer Gemeinschaft, mit den gelingenden Prozessen im menschlichen Gehirn und spricht darum von Intelligenz. Ein Mensch entwickelt sich vom Baby bis ins hohe Alter zwischen diesen Polen aus Sicherheit und Freiheit. Wir sehen das ganz genauso und knüpfen Netzwerke mit neuralgischen Punkten zwischen Bezirksamt und Bewohnerschaft. Anerkennungskultur und Beteiligung, Ausprobieren und Potenziale zur Geltung kommen lassen – das alles wird bei uns großgeschrieben. Wir können zwar keine Wohnungen bauen, damit Familien unterkommen, aber wir unterstützen Familien und alle anderen mit den guten Angeboten in unseren Netzwerken, die wir vermitteln oder ersinnen.
Ich habe gesehen, beim GUTEN POL gibt es eine Kiezekatze. Abgesehen vom schönen Wortspiel zu Miezekatze, wofür steht denn die Kiezekatze? Wer darf mit ihr schmusen und sie streicheln?
Jeder! Miau! Die Kiezekatze schnurrt fast unbemerkt durch die Straßen und trollt sich in den Wohnungen Alt-Hohenschönhausens. Ich selbst mag nicht einmal sonderlich Katzen. Viele Katzen sind zickig und das Katzenklo stinkt. So ist es bei uns Menschen auch. Und trotzdem kann es sehr schön sein, wenn man sich näherkommt und auf Fühlung geht. Das trifft auch auf Menschen zu, die man erst einmal weniger mag. Oder auch auf Themen, die schwierig sind und tabuisiert werden. Die Kiezekatze umschmiegt solcherlei Gemengelagen. Auch Katzen polarisieren, aber sie sind doch letztlich harmonisierend und wollen es ruhig haben. Die Kiezekatze ist unser Nachbarschaftsformat, wo alles gesagt werden darf, aber auch zurückgebissen oder versöhnlich gekuschelt wird. Hier redet die Nachbarschaft miteinander wie sie ist. Authentisch an unseren Tischen. Es ist doch wichtig zu wissen, mit wem man wohnt. Und wenn man sich respektvoll begegnet, ohne sogleich zu verbieten und zu zensieren, baut das Vorurteile ab. Wir schaffen den Raum dafür und tauschen uns aus.
Ach, ja. Fast hätte ich vergessen danach zu fragen. Den Dr. Reudengeutz gibt es bei Ihnen ja auch noch. Wer ist denn das?
Der ist unser Alter Ego. Ein oller Querbürster mit schrägen Perspektiven. Etwas manisch und spitzfindig, aber eigentlich ziemlich in Ordnung. Wenn wir Mist bauen, berufen wir uns auf ihn. Das entspannt und gibt Halt. Früher hat er die Zeitung DER GUTE POL rausgegeben, jetzt macht er Musik oder so.
Wie auf jeder Internetseite findet man auch bei ihrer das Schlagwort Kontakte. Wer dort anklickt hat zwei Möglichkeiten zur Auswahl – erste Möglichkeit „das sind wir“. Man kann aber auch klicken auf „die anderen GUTEN“. Und da finden die User dann eine Übersicht vieler Initiativen, Vereine, Einrichtungen… Schön, dass oskar auch mit dazu gehört. Gibt es denn auch welche, die Sie dort nie aufnehmen werden? Folgen Sie da festen Kriterien, oder überlassen Sie die Entscheidung dem Dr. Reudengeutz?
Tja, wer oder was ist gut, nicht wahr? Gustav Roland will es uns auch nicht immer sagen – wir müssen es stets und immer wieder erneut herausfinden, denn Menschen und Vereine verändern sich ja… Grundsätzlich verweisen wir dort auf unsere Kooperationspartner und DER GUTE POL zieht in der Regel Gutes an…oder polt sie einfach um. Gleichzeitig bilden wir bei den „anderen Guten“ eine wohlgeordnete, lokale Trägerstruktur ab. Sehr hilfreich, wenn man neu hier ist und sich einen Überblick verschaffen möchte. Fabian, mein Kollege hat das angelegt. Er macht die meiste Arbeit auf unserer Homepage dergutepol.de, auf der man sich viele Eindrücke holen kann, wo und wie wir arbeiten.
Was sind Ihre nächsten Vorhaben? Im September finden ja die Freiwilligentage auch in Lichtenberg statt. Sie werden dort dabei sein?
Ja, wir finden es gut, hier einen Beitrag zu leisten. Wir organisieren vier Lesungen von Ehrenamtlichen in den vier Alt-Hohenschönhausener Altenheimen, untertönt mit Musik. Hier möchten wir Türen öffnen, die später weiter durchschritten werden, denn die Menschen in den Heimen freuen sich schließlich nicht nur im September über Kultur und Begegnung. Und Ehrenamt soll ja auch gut sein. Glücklich machen und so. Darum fördert DER GUTE POL auch das Ehrenamt. Ansonsten gibt es bei uns viel Interessantes.
Am 3. September zeigen wir zusammen mit den Partnerschaften für Demokratie den Film „Betongold“ in der Heilig-Kreuz-Kirche (kostenlos!); zu Gast werden sein Kevin Hönicke und ein Vertreter der Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“.
Jeden Mittwoch sind wir auf dem Friedhof St. Pius/ St. Hedwig in der Konrad-Wolf-Straße 30/32 beim Friedhofsgeflüster, das ist ein Friedhofscafé zum Reden und Verweilen, immer von 14-17 Uhr, und am 19. September gibt es dort zum Tag des Friedhofes die Veranstaltung „Friedhof – Zwischen Fiktion und Wirklichkeit“ mit der Theateraufführung „Das Kalte Herz“ und einer Lesung „Eigenes. Erlebtes. Erlesenes“.
Am 29. September veranstalten wir nachmittags das Fest „Verspielte Generationen“ in der Grundschule am Wilhelmsberg anlässlich der Lichtenberger Woche der Generationen und gleich darauf am 2. Oktober unterstützen wir das Herbstfest am Storchenhof zum Thema Nachhaltigkeit, was auch im Sinne des Mehrgenerationenverständnisses ist. Alles zu finden auf unserer Homepage. Sollte jeder Gute in Alt-Hohenschönhausen als Startseite auf seinem Browser haben!
Dieser Beitrag entstand in der Redaktion Zeigen, was geht!
Sie ist die Freiwilligen-Redaktion der oskar | freiwilligenagentur lichtenberg. Freiwillig Engagierte verfassen für die Redaktion Beiträge über Themen im Zusammenhang mit Engagement. Das Format der Beiträge kann in der Redaktion frei gewählt werden, neben Texten sind auch Videos oder andere Beitragsarten möglich. Die jährlich stattfindenden Freiwilligentage stehen besonders im Fokus der Berichterstattung. Die Zeigen, was geht! – Redaktion steht allen Interessierten offen. Wir treffen uns an jedem 2. Donnerstag im Monat. Wer mitmachen möchte, meldet sich bitte bei Gül Yavuz: guel.yavuz@oskar.berlin