Stolpersteine erinnern seit Dienstagnachmittag im Gehweg vor der Münsterlandstraße 42 an das Schicksal von Dorothea Baum und Herbert Baum. Eingeladen zu der Verlegungszeremonie am 12. September 2023 hat der Arbeitskreis Stolpersteine Lichtenberg/Hohenschönhausen gemeinsam mit der Fach- und Netzwerkstelle Licht-Blicke, der pad gGmbh und der oskar | freiwilligenagentur lichtenberg.

Wenn Alltag auf Geschichte trifft

Neun Lichtenberger:innen sind zu der Veranstaltung während der Freiwilligentage 2023 gekommen. Ein Haus steht heute in der Münsterlandstraße 42 nicht mehr. Als die Eheleute Baum dort wohnten, lautete die Anschrift noch Augustastraße 33. Das Haus wurde abgerissen. Heute ist dort eine eingezäunte Grünfläche. Wer die Kreuzung Weitlingstraße/Münsterlandstraße unmittelbar am Münsterlandplatz quert, hat unweigerlich einen Blick darauf. Auch ich denke so bei mir: Wie oft bist du hier schon vorbei gekommen? Ich wohne nur 300 Meter entfernt. Mein Weg zum Bus oder zur Apotheke oder zum Supermarkt oder zum Geldautomaten führt mich nahezu alltäglich da vorbei. Bei schönem Wetter mache ich auf einer der Bänke auch mal eine Pause. Dann habe ich direkten Blick auf die begrünte Fläche an der Ecke. Das wird auch so bleiben. Ändern werden sich aber meine Gedanken, mit denen ich den Weg künftig gehe oder dort auf der Bank sitze. Bisher habe ich nicht gewusst, dass da mal ein Haus stand mit solch einer Geschichte. Eher gedankenlos bin ich da entlang gegangen oder habe auf den fließenden Verkehr geachtet. Künftig werde ich mich wohl immer mal an das erinnern, was Dagmar Poetzsch und die Freiwilligen vom Arbeitskreis Stolpersteine über das Schicksal der Eheleute Baum herausgefunden haben. So ist das, wenn Alltag auf Geschichte trifft.

Erst Hochzeit und dann Wohnungsräumung

Dagmar Poetzsch, sie ist Ansprechpartnerin für Erinnerungskultur in Lichtenberg, berichtet den Teilnehmenden der Stolpersteinverlegung, dass Dorothea und Herbert am 15. Dezember 1939 heirateten. Die erste Ehe von Herbert Baum war im Oktober 1939 geschieden worden. Dabei wird wohl auch eine Rolle gespielt haben, dass er Jude war und seine Frau evangelisch. Für seine zwei Kinder aus erster Ehe zahlte er Unterhalt.

Bis 1940 wohnten Dorothea und Herbert Baum in der Münsterlandstr. 42. Wie gesagt, damals lautete die Anschrift noch Augustastraße 33. Herbert Baum, der am 13. Mai 1897 in Berlin geboren wurde, war Handelsvertreter, musste aber Zwangsarbeit leisten bei der Montan Kohlehandlung in Charlottenburg, Am Spreebruch. Er erhielt dafür einen wöchentlichen Nettolohn von 35 Reichsmark. Dorothea Baum, geborene Friedländer, hatte am 31. Oktober 1903 in Bromberg das Licht der Welt erblickt. Sie war Jüdin und Mitglied der Jüdischen Kultusvereinigung Berlin. Ende der 1930er Jahre musste sie genau wie ihr Mann Herbert zur Zwangsarbeit, Dorothea bei Siemens & Halske Wernerwerk 7 in Charlottenburg. Ihr Wochenlohn betrug circa 24 Reichsmark.

Vom „Judenhaus“ nach Auschwitz

Dorothea und Herbert Baum mussten dann ihre Wohnung räumen. Sie wurden in der Spandauer Feldstraße 8 einquartiert und bewohnten dort im Vorderhaus in der 4. Etage Stube und Küche für 16 Reichsmark monatlich. Das Haus in der Feldstraße 8 war am 01. April 1943 in den Besitz der Reichshauptstadt Berlin übergegangen. Dort waren ausschließlich jüdische Menschen untergebracht. So mancher sprach vom „Judenhaus“. Alle Bewohner:innen deportierten die Nazis im Zeitraum Februar bis März 1943. Herbert und Dorothea Baum waren die Ersten, die am 19. Februar 1943 nach Auschwitz gebracht  und dort ermordet wurden.

Erinnerung wach halten

Ich hoffe nun, dass ganz Viele so wie ich die Ecke Weitlingstraße/ Münsterlandstraße 42 mit anderen Augen sehen und vom geschichtlichen Hintergrund erfahren. Ich werde bei meinen alltäglichen Erledigungen immer mal ein Tuch einstecken und die Steine putzen, wenn das notwendig ist. Schließlich sollen die Gravuren mit den Daten von Dorothea und Herbert Baum gut zu lesen sein. Und ich denke so bei mir: Gut, dass es die Stolpersteine gibt und die vielen Freiwilligen, die immer neue Schicksale jüdischer Mitbürger:innen und Gegner:innen der Nazidiktatur ans Licht bringen. Erinnern und Gedenken und niemals Vergessen!

Im Vordergrund kniet ein Mann und verlegt gerade die Stolpersteine. Dahinter steht Dagmar Poetzsch, die Initiatorin der Stolpersteinverlegung. Eine weitere Frau fotografiert das Geschehen.
Dagmar Poetzsch bei der Verlegung der Stolpersteine
Mehrere Frauen und Männer unterschiedlichen Alters unterhalten sich miteinander. Sie stehen auf dem Gehweg in der Münsterlandstraße 42 und sind Teilnehmende der hier gleich beginnenden Stolpersteinverlegung.
Teilnehmende vor der Verlegung im Gespräch

Dieser Beitrag entstand in der Redaktion Zeigen, was geht!
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