Die Fragen stellte Peter Breitfeld Fotos: Familienzentrum „Die Brücke“
Ganz in der Nähe vom S-Bahnhof Friedrichsfelde-Ost haben Brückenbauer ihr Domizil. Dort in der Gensinger Str. 58 sind ein Familienzentrum und eine Kita zu Hause. Beide Einrichtungen haben sich den Namenszusatz „Die Brücke“ gegeben. Ihr Träger ist der Albert Schweitzer Kinderdorf Berlin e.V.. Mit Cordula Weigel, Leiterin des Familienzentrum, sprach oskar über Verbindendes, über Möglichkeiten für freiwilliges Engagement, über die Unterstützung von Neu-Berliner:innen und über große Fußstapfen.
oskar: Brücken sind dazu da, etwas zusammen zu bringen, etwas zu verbinden, was sonst nur schwer erreichbar ist. Das Familienzentrum, das Sie leiten, hat sich „Die Brücke“ als Namenszusatz gewählt. Wen oder was wollen Sie im Familienzentrum zusammen bringen?
Cordula Weigel: Das Familienzentrum „Die Brücke“ ist ein offener Ort der Begegnung und lebenspraktischen Unterstützung für Familien und Bewohner:innen aus dem Gensinger Viertel und dem Raum Friedrichsfelde Nord. Wir sind als Familienzentrum zwar eine Einrichtung, die den Fokus auf Angebote für Familien hat, aber dennoch offen für alle Menschen aus dem Kiez und darüber hinaus. Im Gensinger Kiez gibt es eine große soziale Mischung unterschiedlicher Altersgruppen, Einkommensklassen, Bildungshintergründe und Kulturen. Ich sehe darin ein großes Potential, das aber auch wertschätzende und verbindende Orte braucht, um sich entfalten zu können. Gute Nachbarschaft, ein gutes menschliches Miteinander muss gepflegt werden, das entsteht nicht einfach von allein. Hier Brücken zu bauen, damit das Zusammenleben besser gelingt und für alle eine Bereicherung ist, darin sehen wir unsere Aufgabe als Einrichtung im Stadtteil. Wo uns das gelingt, bietet sich die Chance voneinander zu lernen, den eigenen Horizont zu erweitern und tragfähige Netzwerke aufzubauen. Gesellschaftlicher Zusammenhalt beginnt dort, wo Menschen zu Hause sind.
Den Namenzusatz „Die Brücke“ teilt sich das Familienzentrum mit einer Kita. Auch das Objekt und der Garten wird gemeinsam genutzt. Welche Effekte bringt diese Verbindung?
Kitas als zentraler Ort im Kiez bieten die nötige Alltagsnähe und ein bereits bestehendes Vertrauensverhältnis zu den Eltern und schaffen somit eine gute Möglichkeit, Angebote für Kinder und Familien zugänglich zu machen. Dadurch kommen wir leichter und frühzeitiger mit Familien in Kontakt und können so eine positive Entwicklung von Kindern nachhaltiger fördern. Gleichzeitig werden die Kinder in unseren Eltern-Kind-Gruppen durch das frühe Zusammentreffen mit anderen Kindern im geschützten Rahmen bereits auf die Gruppensituation in der Kita vorbereitet, was im Idealfall den Übergang zur Kita erleichtert.
Im Familienzentrum gibt es Kurse und Gruppen, für die eine Anmeldung erforderlich ist. Es gibt aber auch zahlreiche offene Angebote. Was liegt Ihnen besonders am Herzen, wenn Sie jemanden über das Angebot des Familienzentrums informieren?
„Die Brücke“ soll Familien und Nachbar:innen einen Ort bieten, an dem sie sich wohl fühlen und gleichzeitig professionelle Unterstützung finden können. Damit das gelingt, orientieren sich unsere Angebote ganz stark am Bedarf und den Wünschen der Besucher:innen. Wir freuen uns sehr, wenn sich diese auch aktiv mit ihren Ideen einbringen und „Die Brücke“ damit zu ihrem Wohlfühlort machen. Wir als pädagogische Fachkräfte sehen uns als Begleiter:innen von Familien in der herausfordernden Phase des Elternwerdens und -seins. Dabei unterstützen wir mit gezielten Angeboten bei der Förderung, Betreuung und Erziehung der Kinder, bieten Beratung zu allen Fragen rund um das Familienleben, ermöglichen mit der Flexiblen Kinderbetreuung Alleinerziehenden Entlastung und eröffnen vielfältige Möglichkeiten der Freizeitgestaltung mit Kindern. Gleichzeitig legen wir viel Wert darauf, dass der Zugang zu unseren Angeboten niedrigschwellig ist, d.h. diese sind kostenfrei oder kostengünstig, zum Teil ohne Anmeldung und auf Wunsch auch anonym. Wer Interesse hat, uns näher kennen zu lernen, kann sich gern unter www.familienzentrum-bruecke.de informieren oder einfach Dienstag / Donnerstag Nachmittag zum Familiencafé vorbei schauen.
Seit Anfang Oktober 2015 gibt es ein spezielles Projekt, mit dem gezielt geflüchtete Familien beim Ankommen in ihrer neuen Umgebung unterstützt werden. Wie werden diese Angebote angenommen? Und wenn Sie auf die reichlich 6 Jahre zurück blicken, welche Erfahrungen sind Ihnen da wichtig?
Unser 2015 gestartetes integratives Projekt „Brücken bauen“ – Angebote für Menschen mit und ohne Fluchthintergrund“ wurde sehr gut angenommen und ist inzwischen ein fester Bestandteil des Familienzentrums. Ziel war es damals, Begegnungsräume für Familien mit und ohne Fluchterfahrung, Einheimische und Zugezogene zu initiieren, um sich kennenzulernen und das Zusammenleben verschiedener Kulturen im Stadtteil zu fördern. Zudem war es uns ein Anliegen, Familien mit Fluchterfahrung durch Familienbildungsangebote, verknüpft mit dem Erlernen der deutschen Sprache, Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben zu ermöglichen.
Wir hatten zu Projektbeginn Sorge, ob es uns gelingt, eine gute Balance zwischen den Bedürfnissen der neuen und alten Nachbar:innen zu finden und wechselseitige Vorbehalte zu überwinden. Am Ende haben sich viele dieser Befürchtungen als unnötig erwiesen, denn wir haben so viel mehr gemeinsam als uns trennt – der Wunsch, dass unsere Kinder eine gute Zukunft haben, das Bedürfnis nach Austausch und Kontakt und nach einem sicheren Zuhause. Ich denke, wenn wir uns mehr auf unsere Gemeinsamkeiten als auf unsere Unterschiede fokussieren, dann entstehen tatsächlich Brücken, wo vorher noch Abgründe waren. Dort wo wir uns aufeinander einlassen, kann die kulturelle Vielfalt in unserer Stadt eine große Chance für uns alle sein. Das braucht aber ein sich Öffnen und Lernen von beiden
Seiten. Das ist nicht immer einfach, aber es lohnt sich!
Stichwort Geflüchtete: Während wir an dem Interview arbeiten, führt Putin Krieg in der Ukraine. Von dort kommen inzwischen täglich tausende Kriegsflüchtlinge in Berlin an. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die schrecklichen Bilder vom Krieg und von den Menschen auf der Flucht sehen?
Natürlich bewegt mich das sehr, gerade weil wir seit 2015 im Familienzentrum viel von dem Leid miterlebt haben, das Krieg – egal wo auf der Welt – anrichtet. Es ist aber auch schön zu erleben, dass es in Berlin und ganz Deutschland eine Welle der Hilfsbereitschaft und Solidarität mit Ukrainer:innen gibt. Auch wir werden genau schauen, wo wir die ankommenden Neu-Berliner:innen mit unseren Angeboten unterstützen können. Was ich mir allerdings wünschen würde, wäre, dass die Empathie und Solidarität Europas allen Menschen auf der Flucht gilt. Während an der polnisch-ukrainischen Grenze die Geflüchteten mit großer Hilfsbereitschaft empfangen werden, erfrieren Flüchtende drei Autostunden weiter an der polnisch-belarussischen Grenze hinter den neu gebauten Grenzzäunen, ertrinken Kinder im Mittelmeer vor den Toren Europas und verzweifeln Familien in den geschlossenen Lagern Griechenlands. Verdienen die afghanische Familie, die dem Taliban-Terror oder Syrer:innen, die Putins Bomben entfliehen, weniger unser Mitgefühl?
Wer so ein breites Angebot hat wie das Familienzentrum, kann sicher gute Ideen und helfende Hände gebrauchen. Welche Möglichkeiten und Aufgaben haben Sie denn für Menschen, die sich gern als Freiwillige engagieren möchten?
Wir freuen uns sehr über aktive Beteiligung an der Gestaltung unserer Angebote! Im Mai wollen wir zum Beispiel wieder mit reger Beteiligung unserer Besucher:innen unseren Garten neu bepflanzen und verschönern. Bei solchen Aktionen kann man sich unkompliziert einbringen. Oftmals übernehmen engagierte Besucher*innen zunächst kleinere Aufgaben und entscheiden sich später auf Grundlage dessen für ein Ehrenamt im Familienzentrum. Von Kuchen backen, Gartenarbeit über Bastel- und Spielangebote für Kinder oder die Mithilfe im Familiencafé und beim Deutsch üben mit neu zugewanderten Familien gibt es viele Möglichkeiten mitzumachen. Wer Interesse hat, meldet sich am Besten direkt bei uns und dann schauen wir gemeinsam, was passt. Auf jeden Fall sollte das Ehrenamt Spaß machen!
In Lichtenberg wird freiwilliges Engagement bereits recht gut anerkannt und gefördert. Was könnte besser laufen? Welche Hemmnisse müssten beseitigt werden, damit noch mehr Freiwillige für die Gemeinschaft im Kiez aktiv werden? Was sind da Ihre Erfahrungen?
Ich denke viele Menschen sind grundsätzlich bereit sich ehrenamtlich zu engagieren, aber oft fehlt ihnen ein konkreter Anfangspunkt um den ersten Schritt zu machen. Die Einrichtungen im Stadtteil haben oft Bedarf an ehrenamtlicher Unterstützung aber nicht die Zeit, neue Ehrenamtliche zu werben. Da ist es gut, dass es Einrichtungen wie die Oskar Freiwilligenagentur gibt, die hier die Verbindung herstellt. Für uns ist es oft schwierig, wenn sich Menschen in unserer schnelllebigen Zeit nicht für einen längeren Zeitraum auf ein Ehrenamt festlegen können. Da wir Beziehungsarbeit leisten, wünschen wir uns auch mit unseren Ehrenamtlichen eine möglichst kontinuierliche und langfristige Zusammenarbeit. Leider sind viele jüngere Leute beruflich sehr stark eingebunden und es gibt zu wenig Freiräume für ehrenamtliches Engagement. Vielleicht brauchen wir hier noch mehr staatliche geförderte Programme, die solche Auszeiten vom Hauptberuf für gesellschaftlich relevante unbezahlte Arbeit ermöglichen? Dafür bräuchte es aber auch ein stärkeres gesellschaftliches Umdenken, weg von einer rein wirtschaftlich gesteuerten Denkweise, hin zu einer klaren Priorität auf unser soziales Miteinander.
Träger Ihrer Einrichtung ist der Albert-Schweitzer-Kinderdorf Berlin e.V. Mit Albert Schweitzer im Namen sind ja große Fußstapfen gegeben, die erst mal ausgefüllt werden wollen. Gibt es etwas von oder an Albert Schweitzer, dass Sie gern in Ihr Leben und in Ihre Arbeit einfließen lassen?
Albert Schweitzer war tatsächlich ein Mensch, der in vielem ein Vorbild für mich ist, weil er sich mit aller Kraft für eine Welt stark machte, in der jedem Leben mit dem gleichen Respekt und der gleichen Ehrfurcht begegnet wird. Wenn ich mir anschaue, wie wir in unserer Zeit mit unserer Lebensgrundlage, der Natur, aber auch mit anderen Menschen umgehen, dann erscheint mir die Besinnung auf die Ehrfurcht vor allem Lebenden als ethischer Maßstab wichtiger denn je. Entscheidend ist aber, dass dieser Grundsatz keine Theorie bleibt – Ethik muss gelebt werden, im Umgang mit der Natur, im Umgang mit den Menschen in meinem direkten Umfeld, aber auch darüber hinaus im Respekt und der Verbundenheit gegenüber allen Menschen dieser Erde, die wir nun mal miteinander teilen und gestalten.
Dieses Interview entstand in der Redaktion Zeigen, was geht!
Sie ist die Freiwilligen-Redaktion der oskar | freiwilligenagentur lichtenberg. Freiwillig Engagierte verfassen für die Redaktion Beiträge über Themen im Zusammenhang mit Engagement. Das Format der Beiträge kann in der Redaktion frei gewählt werden. Neben Texten sind auch Videos oder anderes möglich. Die jährlich stattfindenden Freiwilligentage stehen besonders im Fokus. Die Zeigen, was geht! – Redaktion steht allen Interessierten offen. Wir treffen uns an jedem 2. Donnerstag im Monat. Vorkenntnisse sind nicht nötig. Wer mitmachen möchte, meldet sich bitte bei Gül Yavuz: guel.yavuz@oskar.berlin