#oskarRedetMit – Grazyna Gierasimczuk und Claudia Tothfalussy

Die Fragen stellte Peter Breitfeld                                           Fotos: PaulGesche9

Die Berliner Wohnforum GmbH gibt in Berlin rund 1000 Menschen in besonderen Lebenslagen ein zu Hause. Berlinweit betreibt die GmbH gemeinsam mit ihren Partnern Unterkünfte für Wohnungslose, eine Gemeinschaftseinrichtung für Geflüchtete und Wohngemeinschaften für Pflegebedürftige. Eine der Wohnungslosenunterkünfte befindet sich in der Lichtenberger Paul-Gesche-Str. 9, ganz in der Nähe vom U-Bahnhof Friedrichsfelde. Das Team und seine Bewohner sagen einfach, das ist das PaulGesche 9. In Lichtenberg ist es die Unterkunft mit den meisten Plätzen, also so gesehen die größte Einrichtung. Oskar sprach mit Grazyna Gierasimczuk und Claudia Tothfalussy vom Sozialteam der Wohnungslosenunterkunft PaulGesche9.

Oskar: Seit wann gibt es die Wohnungslosenunterkunft in der Paul-Gesche-Straße 9, und wie war es denn, als der Standort eröffnet wurde. Wie haben die Anwohner:innen reagiert? Und wie sieht es heute aus?

Grazyna Gierasimczuk: Der Betreiberwechsel ging für die Anwohner:innen unauffällig über die Bühne. Bevor das Berliner Wohnforum das ehemalige DDR-Kinderheim im Jahre 2017 übernommen hat, war die „Pension Büchler“ die günstigste Unterkunft für Arbeiter:innen und Wohnungslose der Stadt. Viele der damaligen Bewohner blieben im Haus wohnen, weil sie über keine eigene Wohnung verfügten und somit Anspruch auf Unterbringung hatten. Heute gehört unsere Wohnungslosenunterkunft zur Nachbarschaft selbstverständlich dazu!

Viele haben ein Bild vor Augen, wenn es um Wohnungslosigkeit geht: Bahnhofsvorplätze, Gewalt, Alkohol, Drogen, mangelnde Hygiene, manchmal auch Gewalt. Das ist das Bild gewissermaßen so im Vorbeigehen. Welches Bild würden Sie denn zeichnen? Sie gehen ja nicht vorbei. Sie haben jeden Tag Umgang mit wohnungslosen Menschen.

Menschen sitzenin gemütlicher Runde vor dem Betongebäude
Bald wieder gut besucht: „Kulinarische Weltreise“ –Treffen und Begegnung vor dem PaulGesche9

Claudia Tothfalussy: Das Bild der Wohnungslosigkeit ist so vielfältig wie der Querschnitt der Bevölkerung. In unserem Wohnheim leben junge und alte Menschen, Deutsche und Geflüchtete, Menschen mit Migrationshintergrund. Einige haben vorher jahrelang auf der Straße gelebt und mit Alkohol, Drogen und Hygiene zu kämpfen. Andere wurden geräumt oder von Partner oder Partnerin rausgeschmissen. Vielen unserer Bewohner:innen würde man äußerlich nicht anmerken, dass sie wohnungslos sind, gute Kleidung ist für viele wichtig. Ein Großteil bezieht ALG-II, andere gehen Vollzeit arbeiten und auch ein Doktorand der Medizin wohnte schon bei uns.

Der beste Weg, Vorbehalte abzubauen, sind Begegnungen, Gespräche, gegenseitiges Kennenlernen und Verstehen. Wer die Wohnungslosen bei Ihnen in der Einrichtung unterstützen und sich freiwillig engagieren will, welche Möglichkeiten bieten Sie da an?

Claudia Tothfalussy: Grundsätzlich freuen wir uns über Engagement in den unterschiedlichsten Formen. Momentan haben wir einen Ehrenamtlichen, der uns unterstützt. Aufgrund der Sanierungsmaßnahmen können wir momentan keine weiteren Ehrenamtlichen koordinieren. Nach Abschluss der Baumaßnahmen freuen wir uns wieder über Anfragen. Jetzt kann man den Bewohnern auch schon eine Freude machen und zum Beispiel Lebensmittelspenden vorbeibringen. Über Freikarten zum Beispiel für den Besuch eines Fußballspiels oder des Tierparks würden die Bewohner:innen sich auch freuen.

Leben ist endlich- lebe endlich!
Lebensweisheiten an der Fassade des Paul Gesche-Hauses

Stichwort Begegnungen. Die anhaltende Corona-Pandemie macht die ja nicht leichter. Wie kommen Sie und die Bewohner des Hauses mit der Situation zurecht? Setzen Sie auf Impfung und wie ist die Bereitschaft dazu?

Grazyna Gierasimczuk: Leider hat Corona das Zusammenkommen erschwert, Veranstaltungen wie zum Beispiel der Kinoabend mussten leider ausfallen. Mit Kreativität können wir alles durchführen, was auch pandemiekonform ist. Gartenarbeit mit zwei Bewohnern. Suppenkessel und Bratwurst vom Grill nach einer Aufräumaktion im Kiez an der frischen Luft. Trotz Corona haben wir unsere Sprechstunde mit Sicherheitsabstand immer anbieten können. Da ein Impfteam vom Senat vor Ort war, konnten wir Ende April allen Bewohner:innen eine Impfung anbieten. Etwa 65 bis 70 Prozent der Bewohner:innen sind geimpft.

Auf der Internetseite ist über das Paul-Gesche9 auch zu lesen, dass die Kinder in der Nachbarschaft von den Hühnern der Einrichtung begeistert sind. Stimmt das denn wirklich? Gaggert auf dem Hof vom Paul-Gesche9 wirklich Federvieh?

Grazyna Gierasimczuk: Bis zum Sommer 2021 lebten 5 Hühner bei uns auf dem Hof. Stets kamen Menschen aus der Nachbarschaft und begleitete Kindergruppen vorbei, um sie sich anzuschauen. Weil wir tierfreundlich sind, haben die Hühner aufgrund des Baulärms ihren Platz mit einem Bauernhof bei Cottbus getauscht. Nach Abschluss der Baumaßnahmen ist die Rückführung geplant.

Einige Kinder in warmer Kleidung und zwei Erwachsene stehen bei den die Hühnern im Hof
Kinder der Kita „Pusteblume“ besuchen die PaulGesche9 Hühner

Zum Schluss, wenn Sie zwei Wünsche frei hätten, welche wären das? Und wie kann man das Team und die Bewohner vom Paul-Gesche9 am besten unterstützen?

Claudia Tothfalussy: Der erste Wunsch richtet sich an die Politik. Jeder Mensch hat eine menschenwürdige Unterbringung verdient. Auch Betroffene, die keinen Anspruch auf Jobcenter-Leistungen haben und aus dem osteuropäischen Ausland kommen, sollten Anspruch auf Unterbringung in einer ASOG-Unterkunft haben.  Das sind Unterkünfte die nach den Regeln des Allgemeinen Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin vergeben werden. Genauso schnell muss jemandem geholfen werden, der aufgrund von Krankheit und/ oder Sucht nicht mehr selbstständig bei uns im Haus leben kann. Menschenwürdige Unterbringung für Wohnungslose im Alter ist ebenfalls ein großes Thema. Es gibt derzeit kaum altersgerechte Einrichtungen, in denen Alkohol konsumiert werden darf. Daher werden viele Wohnungslose von bedarfsgerechter Unterbringung ausgeschlossen.

Grazyna Gierasimczuk: Weiterhin wünschen wir uns, dass Vorbehalte und Vorurteile in der Bevölkerung abnehmen. Das würde unsere Arbeit sehr erleichtern. Wohnungslose Menschen würden nicht mehr stigmatisiert werden und könnten dadurch wieder schneller auf die Beine kommen. Jeder kann einen Beitrag leisten und mit wohnungslosen Menschen ins Gespräch kommen. Wir beteiligen uns daran, Brücken zu bauen. In Zukunft wollen wir wieder Veranstaltungen wie die kulinarische Weltreise durchführen, bei der Nachbarschaft, Bewohner:innen und Team des Hauses einen Austausch pflegen.

Dieser Beitrag entstand in der Redaktion Zeigen, was geht!

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