In diesem Text geht es um die persönlichen Eindrücke unserer Redakteurin Leonie in Bezug auf das multikulturelle Leben in Barcelona – dem neuen Zuhause vieler Menschen. Doch vor allem Asylsuchende haben es oft schwer, in Barcelona ein neues Zuhause zu finden – ihnen droht häufig die Obdachlosigkeit. Wie diesem Problem schon mehrmals erfolgreich durch freiwilliges Engagement begegnet werden konnte, erfahrt ihr hier.

In den Straßen Barcelonas

Wir verlassen die Wohnung meiner argentinischen Freundin im Innenstadtviertel el Born; sie muss los zum Therapeuten. Auf meinem Nachhauseweg bin ich damit beschäftigt, meine Wertsachen krampfhaft festhaltend vor potenziellen Dieben zu verteidigen und alle verdächtig aussehenden Menschen böse anzugucken. Letzteres gilt ebenso für eine englische Touri-Männergruppe vor einer Bar, die mir hinterherpfeift und blöde Anmachsprüche zuruft.

Der Plaça Reial. Es ist der 31.10. © Gabriel Fort Mann

Angekommen auf dem Plaça Reial ist es so voll und laut wie immer. Das Stimmengewirr hunderter Menschen auf den Terrassen der zahlreichen Bars und Restaurants – eine absolute „Touri-Abzocke“ – vermischt sich mit dem Klirren der Gläser und der Musik von allen Seiten. In der Mitte des Platzes hat die wirklich gute Akrobaten-Gruppe mit ihrem einen Mitglied, das mich vor Kurzem zu einem Date drängen wollte, gerade mal wieder ihren Auftritt. Menschen staunen und klatschen.

Ich gehe unbeirrt weiter. In der Straße riecht es nach Cannabis. Der Obdachlose, den ich morgens auf der Rambla seinen Schorf vom Bein hab wegkratzen sehen, humpelt an Krücken und flucht vor Schmerz. Aus der coolen Kunst-Galerie dröhnt der Techno. An der Straßenecke passiere ich die üblichen Verdächtigen, die mir Gras verkaufen oder das Handy abnehmen wollen – man weiß es nie.

Ich muss vielleicht dazu sagen, dass meine Paranoia nicht von ungefähr kommt: Erst kürzlich wurde mir mein Handy aus der Hand weggerissen und in meiner Straße werden tagtäglich Tourist:innen ausgeraubt. Und gerade heute, am helllichten Tag, wurde ich wieder Zeugin davon: Angelockt durch das Geschrei „Thief, thief“ auf der Straße, streckten meine Nachbar:innen und ich neugierig die Köpfe aus den Fenstern und Balkonen: Ein Engländer lief schnaubend und schimpfend einem anderen Mann hinterher. Nach wenigen Sekunden war das Spektakel dann auch schon wieder vorbei und die Nachbarschaft verschwand in ihren Häusern. Alltag im Zentrum Barcelonas.

Auf dem Weg nach Hause. © Naz Baydar

Zuhause

Endlich biege ich in meine Straße ab: vertraute Müllberge am Straßenrand, Uringeruch und überall verschmierte Hundekacke. An der Ecke meines Hauses begrüßen mich die Bistro-Besitzer. Ich hab‘ es geschafft! Nach einem Monat werde ich als Bewohnerin der Straße, als Bewohnerin vom Stadtviertel el Gótico, akzeptiert. Als ich vor der über und über mit Graffiti bemalten Haustür ankomme, fühle ich mich sicher und zuhause. Zuhause…

Viele Wege führen nach Barcelona

Monatelang war Barcelona mein Zuhause. Wie viele Andere wollte ich hier eine Weile leben. 2023 stellte ein Rekordjahr dar: 23,6% der Einwohner:innen Barcelonas waren Zugezogene mit 177 unterschiedlichen Nationalitäten.

Viele Zugezogene kommen aus dem globalen Norden. Aus fadenscheinigen Gründen kann ich nur allzu gut nachvollziehen, weshalb wir „Guiris“ – wie wir Tourist:innen oder Zugezogenen aus dem globalen Norden hier leicht abwertend von den Lokalen bezeichnet werden – nicht unbedingt willkommen sind. Neben der globalen Inflation sind wir einer der Hauptgründe, weshalb in Barcelona die Preise im Allgemeinen und die Mietpreise im Besonderen immer weiter steigen („Die Leute zahlen es ja“) und die Einheimischen daher immer weiter außerhalb des Stadtzentrums leben müssen. Gentrifizierung… (In meinem Artikel zum Recht auf Arbeit habe ich ja bereits auf die klaffende Differenz in Bezug auf das Durchschnittseinkommen in Deutschland und Spanien aufmerksam gemacht.) Graffitis in den Straßen Gràcias mit dem Inhalt „Tourists go home“ sind daher omnipräsent.

Viele Zugezogene kommen also aus dem globalen Norden – unter anderem wegen der Sonne. Meine Güte, sind wir privilegiert… Viele Andere haben aus ganz anderen Gründen ihre neue Heimat in Barcelona gefunden.

Viele Zugezogene kommen aus lateinamerikanischen Ländern, weil sie aus sicherheitspolitischen oder ökonomischen Gründen in Europa leben wollen. Spanien ist aufgrund der gleichen Sprache naheliegend, zudem besitzen sie durch ihre Vorfahren bereits oftmals schon den spanischen oder italienischen Reisepass.

Viele Zugezogene kommen aus den gleichen Gründen aus (nord-)afrikanischen Ländern, insbesondere aus Marokko.

(K)Ein neues Zuhause für Asylsuchende

Asylsuchende erhalten in Spanien erst ab dem Moment der Asylantragstellung Wohnraum zur Verfügung gestellt. Der Termin zur Antragstellung kann jedoch ab der Ankunft in Barcelona mehrere Monate in der Zukunft liegen. Bis dahin können sie selbst keinen Mietvertrag unterschreiben.

Deshalb sollte, nach der anfänglichen Unterstützung durch das Rote Kreuz oder den Dienst für die Betreuung von Einwanderern, Emigranten und Flüchtlingen (SAIER) der Stadt Barcelona, eine Unterbringung in den städtischen Einrichtungen erfolgen. Allerdings existieren hier Warteliste von drei Monaten. Deshalb steht oft eine Obdachlosigkeit zu befürchten.

Um dies zu vermeiden, mieten alleinstehende Männer und Frauen daher häufig ein WG-Zimmer, das sie durch Schwarzarbeit finanzieren. Doch vor allem Familien mit Kindern haben oft keine Aussicht auf ein Zuhause.

Okkupation für Asylsuchende

Aktivist:innen besetzen daher seit langem Häuser – unter anderem für Asylsuchende. Die Okkupation hat eine lange Tradition in Spanien: Es handelt sich um ein altes Gesetz der Liberalen aus den 80ern, das allen Menschen ein Bleiberecht nach 48 bis 72 Stunden in einer Immobilie einräumt, sofern die eigentlichen Eigentümer keinen Einspruch erheben.

Die Aktivist:innen achten darauf, keine Privathäuser, sondern lediglich leerstehende Immobilien in Bankbesitz oder von großen Immobilien-Investoren zu besetzen.

Casa África

Casa África“ (Haus Afrika) war so ein besetztes Haus für Neuankömmlinge bzw. Menschen, die keinen Wohnraum gefunden haben. Seine Existenz und soziale Funktion waren überaus relevant in der Community: Immer ca. zwanzig bis dreißig Leute aus verschiedenen afrikanischen Ländern haben dort gewohnt, Familien und unbegleitete Minderjährige. Umso schlimmer ist es, dass es 2019 und abermals 2022 eine Zwangsräumung ohne alternative Unterkunftsmöglichkeiten durch die Mossos,  die Polizei Kataloniens, erfahren hat – und das noch unter der ehemaligen Bürgermeisterin Adda Colau, die früher selbst in der Hausbesetzungs-Szene aktiv war. Beide Male verließen die Bewohner:innen das Haus widerstandslos mit ihren wenigen Habseligkeiten.

Politiker:innen der Stadt Barcelona verurteilten die von den Eigentümern – der Gesellschaft Poblenou Federals 1922 S.L., einer Tochtergesellschaft der Immobiliengesellschaft One Peking Road S.L. und der Hotel- und Tourismusfachschule l’Escola d’Hoteleria i Turisme (CETT)) – der seit Jahren leerstehenden Immobilien erzwungenen Zwangsräumungen. Die Stadtverwaltung war nämlich dankbar für den Wohnraum, den die Casa África so vielen Menschen zur Verfügung stellte, denn angesichts der Überlastung ihrer eigenen, offiziellen Einrichtungen setzte sie explizit auf das Engagement der Bürger:innen.

Aktivist:innen kämpfen für das neue Zuhause vieler Menschen

Nach dem Motto „Tourists go home, refugees welcome” kämpfte das liberale Barcelona beide Male für das Recht auf Wohnen für Alle.

Am ersten Standort der Casa África, im Stadtviertel Poblenou, boten die Aktivist:innen von Emergència Frontera Sud (EFS) mit ihren ehrenamtlichen Anwält:innen und die Nachbarschaft Unterstützungs- und Begleitarbeiten für die Bewohner:innen an. Am zweiten Standort, in Raval – ein Stadtteil Barcelons -, wurden die Menschen von Anfang an von dem Kollektiv Resistim al Gòtic unterstützt.

In den Straßen von Raval. © Naz Baydar

Jeweils am Tag der geplanten Zwangsräumung versammelten sich fünfzig bis hundert Aktivist:innen und Nachbar:innen, um gegen Rassismus und die Räumung der Casa África zu demonstrieren.

Die Plattform „Suport a casa África“ hatte den Marsch 2019 organisiert und die Unterstützung von 150 Nachbarschaftsgruppen und Wohnungsgewerkschaften wie Emergencia Frontera Sur, dem Sindicato de Vendedores Ambulantes und Tanquem els CIES erhalten. Zwei Verwundbarkeitsberichte durch das Kollektiv Apropem-nos und die Nachbarschaftsvereinigung Poblenou erhielten die politische Zustimmung und feierten einen gerichtlichen Erfolg. Dadurch konnte vorübergehend eine Unterbrechung der Räumung erreicht werden.

Barcelona – das neue Zuhause vieler Menschen

Eben auf meinem Nachhauseweg durch die Innenstadtviertel Barcelonas bin ich mit Sicherheit einigen der ehemaligen Bewohner:innen der Casa África begegnet. Von einer Freundin weiß ich, dass viele von ihnen nach der letzten Zwangsräumung im Raval geblieben sind und jetzt schwarz als Delivery Fahrer arbeiten. Dadurch können sie ihr WG-Zimmer finanzieren. SIE sind also nicht auf der Straße gelandet…

Was würde also ohne jene freiwillig Engagierte passieren, die sich für ein Zuhause für alle Menschen einsetzen?

Menschen schlendern durch eine Altstadt-Gasse in Barcelona.
In den Straßen von Gótico. © Naz Baydar

Freiwilliges Engagement für Menschen ohne ein Zuhause

Auch in Berlin setzen sich viele freiwillig Engagierte für Menschen ohne ein Zuhause ein. Erst vor knapp zwei Jahren wurde ein Haus durch Obdachlose und Aktivist:innen in Mitte besetzt, bereits 2015 besetzten politische Aktivist:innen einen Tag lang ein Haus in Neukölln, um auf die schlechte Versorgung von Geflüchteten aufmerksam zu machen.

Wohnraummangel und eine Überlastung des Hilfesystems für Menschen ohne Obdach und Geflüchtete bzw. seine Schwachstellen sind also auch in Berlin altbekannte Probleme. Das macht freiwilliges Engagement unterschiedlicher Art und Weise umso wichtiger. Oskar hat bereits zwei Mal über den TagesTreff in der Lichtenberger Weitlingstraße 11, wo Wohnungslose und Bedürftige Unterstützung erhalten, berichtet. Hier geht’s zum Artikel: https://oskar.berlin/oskarredetmit-maria-richter-tagestreff-fuer-wohnungslose-und-beduerftige/


Weiterführende Links

Dieses Interview entstand in der oskar | redaktion „Zeigen, was geht!“
Sie ist die Freiwilligen-Redaktion der oskar | freiwilligenagentur lichtenberg. Freiwillig Engagierte verfassen für die Redaktion Beiträge über Themen im Zusammenhang mit Engagement. Das Format der Beiträge kann in der Redaktion frei gewählt werden, neben Texten sind auch Videos oder anderes möglich. Die jährlich stattfindenden Freiwilligentage stehen besonders im Fokus. Die Zeigen, was geht! – Redaktion steht allen Interessierten offen. Wir treffen uns an jedem 2. Donnerstag im Monat. Wer mitmachen möchte, meldet sich bitte bei oskar: info@oskar.berlin

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