Stolperstein für Olga Nestmann

Fotos: Wolfgang Haensel

Lebendige und ergebnisreiche Erinnerungsarbeit


An das Schicksal von Olga Nestmann erinnert ein Stolperstein in Hohenschönhausen, der dort am 20. Mai 2023 im Fußweg vor dem Haus in der Dingelstädter Str. 17 verlegt wurde. Gemeinsam mit ihrem Mann Adolf Max Nestmann und ihren 7 Kindern hatte Olga am 31. Dezember 1934 Berlin erreicht. Wegen der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage in der damaligen Sowjetunion hatten sie ihre kleine Landwirtschaft und die betriebene Dampfmühle in Buditschtsche, Kreis Shitomir, verlassen und waren ausgewandert. Nur wenige Jahre später am 01. April 1940 wurde Olga Nestmann im Rahmen des Euthanasieprogramms der Nationalsozialisten in der Heil- und Pflegeanstalt Berlin-Buch ermordet. Sie war dort vorher inzwischen schwer krank eingewiesen worden.
Zu den zahlreichen Teilnehmenden an der Verlegungszeremonie gehörte der jüngste Sohn von Olga Nestmann, der inzwischen 92-jährige Reinhold Nestmann. Er konnte aus eigener Erinnerung über das Schicksal seiner Mutter berichten. Mit dabei waren auch die Lichtenberger Bezirksstadträtinnen Camilla Schuler (Die Linke) und Filiz Keküllüoğlu (Bündnis 90/Die Grünen). Musikalisch gab Johann-Vincent Slawinski mit seiner Geige dem Gedenken an Olga Nestmann einen würdigen Rahmen.

Menschen stehen im Kreis
Zahlreiche Teilnehmende waren zur Stolpersteinverlegung gekommen
Stolpersteinverlegung Ausdruck lebendiger Erinnerungsarbeit

Der Stolperstein für Olga Nestmann ist der erste, der 2023 in Lichtenberg/Hohenschönhausen verlegt wurde. Und es wird nicht der letzte sein. Das weiß Dagmar Poetzsch ganz genau. Sie ist in Lichtenberg Ansprechpartnerin für Erinnerungskultur. Gemeinsam mit vielen Freiwilligen in den Arbeitskreisen Stolpersteine plant und organisiert sie, wo und wann im Stadtbezirk diese Möglichkeiten der Erinnerung geschaffen werden.
Derzeit sind in Lichtenberg/Hohenschönhausen 184 Stolpersteine verlegt. Und 12 weitere sollen in diesem Jahr noch dazu kommen.

Mit den Stolpersteinverlegungen in 2023 wird gewissermaßen öffentlich sichtbar, welche Erinnerungsarbeit im vergangenen Jahr vor allem in ehrenamtlicher Arbeit geleistet wurde

Damar Poetzsch,

So eine Stolpersteinverlegung gehe nicht von heute auf morgen, erzählt Dagmar mir. Da seien oftmals langwierige Recherchen erforderlich, und auch die Steine selbst müssen hergestellt werden, bevor sie verlegt werden können. Das alles dauere seine Zeit. „Mit den Stolpersteinverlegungen in 2023 wird gewissermaßen öffentlich sichtbar, welche Erinnerungsarbeit im vergangenen Jahr vor allem in ehrenamtlicher Arbeit geleistet wurde“, sagt Dagmar Poetzsch.

Junge Leute in Erinnerungsarbeit aktiv

Besonders freue sie sich, wenn sich Jugendliche in der Erinnerungsarbeit engagieren, berichtet Dagmar. Dabei reicht ihr Engagement auch über Lichtenberg hinaus. Sie erzählt mir von der Zusammenarbeit mit einer Schulklasse. Im November 2022 seien vor dem Haus im Hohenzollerndamm 184 mehrere Stolpersteine zur Erinnerung an die jüdische Familie Munderstein verlegt worden. Die Recherchen zum Schicksal von Thomas, 12 Jahre alt, Mutter Margarete, Vater Alfred Munderstein und der Großmutter Elisabeth Nacher habe in den Händen von Schüler:innen des 9. Jahrgangs des Barnim Gymnasium Berlin gemeinsam mit Ihrer Lehrerin gelegen. Und auch bei der Verlegungszeremonie seien die Schüler:innen aktiv beteiligt gewesen, indem sie über das Leben der Familie Munderstein bis zur Ermordung durch die Nationalsozialisten berichteten.

Wenn ich erlebe, mit welchem Interesse und Engagement die jungen Leute bei der Sache sind, so bin ich mir als eine aus der älteren Generation sicher, dass meine Worte Erfüllung finden, die ich bei jeder Stolpersteinverlegung spreche: Niemals vergessen!

Dagmar Poetzsch

Schön ist, dass das keine einmalige Sache war, erzählt mir Dagmar weiter. Jetzt im Februar 2023 sei gemeinsam ein weiteres Projekt gestartet worden. Ergebnis wird ein Stolperstein zur Erinnerung an Wilhelm Baltzowski sein, der wohl im Herbst verlegt werden kann. Und schon jetzt stehe fest, dass die Recherche mit einem Besuch im KZ Sachsenhausen einen Höhepunkt finden werde. Wilhelm Baltzowski sei dort ermordet worden. Und wie sich herausgestellt habe, existieren zwei Briefe von ihm, die der Großneffe der Gedenkstätte übergeben wird. Da wollen die Schüler dabei sein. Das sei doch eine tolle Sache. Und dann sagt mir Dagmar: „Wenn ich erlebe, mit welchem Interesse und Engagement die jungen Leute bei der Sache sind, so bin ich mir als eine aus der älteren Generation sicher, dass meine Worte Erfüllung finden, die ich bei jeder Stolpersteinverlegung spreche: Niemals vergessen!“

Viele aktive Spaziergänger:innen erwünscht

Und noch eins ist Dagmar Poetzsch wichtig. Je mehr Stolpersteine in den Lichtenberger Kiezen verlegt sind, umso wichtiger ist auch ihre Pflege und Erhaltung. Sie lädt regelmäßig zu Kiezspaziergängen ein, die zu verlegten Stolpersteinen führen und berichtet Interessierten über das Schicksal der Menschen, an die erinnert wird.

Die kleinen Erinnerungsstätten in den Fußwegen säubern und gut sichtbar erhalten.

Dabei ist auch Gelegenheit, die kleinen Erinnerungsstätten in den Fußwegen zu säubern und gut sichtbar zu erhalten. Da müsse aber keiner auf eine solche Spaziergangseinladung warten. Papiertaschentücher reichen schon, um die gravierten Messingoberflächen der Steine vom Schmutz der Straße zu befreien und aufzupolieren. Dagmar Poetzsch sieht es so: „Die Verlegung von Stolpersteinen ist eine Wiedergeburt. Menschen, deren Existenz von den Nazis ausgelöscht, die namenlos werden sollten, erhalten ihre Würde und ihren Namen zurück.“ Und das sollte gut sichtbar sein.

Mitmachen ist möglich

Wenn Sie sich selbst in einem der bestehenden Arbeitskreisen Stolpersteine engagieren wollen, finden Sie hier den Kontakt: Dagmar Poetzsch Stolpersteine@licht-blicke.org

Bei der Licht-Blicke Netzwerkstelle für Demokratie; Wer sind wir? gibt es auch Informationen zum Projekt Stolpersteine.
Und wenn Sie wissen wollen ob und wo in Ihrem Kiez Stolpersteine verlegt sind, hier haben Sie die Möglichkeit dazu: https://www.stolpersteine-berlin.de/de/stolpersteine-finden

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