#oskarRedetMit – Dieter Rühle vom Bürgerverein Fennpfuhl e.V.

In der Rubrik #oskarRedetMit finden Sie Interviews mit spannenden Akteur:innen aus den Bereichen Engagement, Zivilgesellschaft und Gemeinwohl.

Fotos: Ksenia Porechina, Bürgerverein Fennpfuhl e.V., Dieter Rühle



Im Fennpfuhl wird in diesem Jahr ein Jubiläum begangen. Am 1. Dezember 1972 wurde der Grundstein für das Doppelhochhaus am Roederplatz gelegt. Das war der Startschuss für die Bebauung des heutigen Lichtenberger Stadtteils und ist jetzt 50 Jahre her. Wir sprechen mit Dieter Rühle. Er ist Zeitzeuge. Wenige kennen so wie er die bauliche Geschichte und Entwicklung des Fennpfuhl. Heute engagiert er sich als Vorstand im Bürgerverein Fennpfuhl e.V.

oskar: Am 1. Dezember 1972 wurde der Grundstein für die Entwicklung des Gebietes am Fennpfuhl gelegt. Sie waren damals als Architekt Projektleiter für das Wohngebiet 1, für das es da den Startschuss gab. Was ist Ihnen von der Situation damals noch in Erinnerung?

Dieter Rühle: Der Grundstein wurde durch den damaligen Oberbürgermeister Berlins Herbert Fechner auf der Bodenplatte des 18/21-geschossigen Wohnhochhauses am Roederplatz gelegt. Die Planungen für das Wohngebiet begannen aber schon 1969/70 in einer kleinen Architektengruppe, der ich angehörte, und mit der sogenannten Studie 70. Insgesamt sollte ja im Fennpfuhl ein modernes und gesundes ZuHause für 50.000 Menschen geschaffen werden, inklusive aller Folgeeinrichtungen. Das war schon eine enorme Herausforderung für alle Beteiligten, aber für einen Architekten und Stadtplaner auch eine einmalige Chance, sich hier aktiv einzubringen. Und wir hatten eine Fülle neuer gestalterischer und funktioneller Ideen.

Ein Schwarz-Weiß Bild zeigt Dieter Rühle in der Planungsbaracke, voller Dokumente
Im Büro der Bau- und Planungsbaracke

Bereits im Wohngebiet 1 haben wir streng darauf geachtet, dass eine neue Wohnqualität mit viel Licht, Luft und Sonne geschaffen wird, trotz der ökonomisch gebotenen hohen Einwohnerdichte. Einrichtungen für Kinder sowie Freizeit und Erholung in die großzügigen Wohnhöfe und den Verkehr an die Peripherie, das war eine Maxime.
Besondere Herausforderung und ein städtebauliches Puzzle für die Anordnung der Gebäude war eine in Betrieb befindliche Schmutzwasserdruckleitung, die diagonal durch das Gebiet verläuft. Die durfte nicht angetastet werden, sie war die heilige Kuh im Wohngebiet 1.
Für so manche Diskussion und damals sogar zu einem offenen Streit zwischen zwei Berliner Stadträten führte auch die Umsetzung des neu entwickelten Orientierungssystem für Großsiedlungen und die großen Hausnummern.

Was gab denn überhaupt den Ausschlag dafür, dass gerade im Gebiet am Fennpfuhl die erste zusammenhängende Fertigteil – Großwohnsiedlung der DDR geplant und errichtet wurde? Dafür wären ja sicher in Berlin auch noch andere Orte infrage gekommen.

Die Topografie des Geländes war eine einmalige und spannende städtebauliche Herausforderung. Die Entscheidung für diesen Standort fiel aber wohl vor allem deshalb, weil es ein großes zusammenhängendes Flächenangebot gab, wo vorwiegend nur Kleingärtner und etwas Gewerbe angesiedelt waren. Es mussten nicht viele Gebäude abgerissen werden. Die Lage und die nur fünf Kilometer Entfernung zum Stadtzentrum waren sehr günstig. Hinzu kamen sehr gute Bedingungen für die Nutzung beziehungsweise Erweiterung vorhandener Infrastrukturen der Stadttechnik.
Ein plus war auch die gute Verkehrsanbindung mit S-Bahn und Strassenbahn zum Stadtzentrum und zur Umgebung sowie mit Landsberger Allee und Weißenseer Weg zwei vorhandene überregionale Hauptnetzstrassen.

Fünf Jahrzehnte sind eine lange Zeit. Sehen sich Menschen so lange nicht, da hört man schon mal den Spruch: Dich hätte ich jetzt aber nicht wiedererkannt. Wie ist es beim Fennpfuhl. Sie wohnen ja dort. Erkennen Sie den noch wieder? Oder anders gefragt: Was gefällt Ihnen an der Entwicklung, die der Fennpfuhl genommen hat? Was ärgert Sie?
Menschen stehen im Freien vor einer Skulptur, ein Kind ist auch dabei
Kiezfondsprojekt Beschriftung von Skulpturen im Fennpfuhl

Ja, ich erkenne den Fennpfuhl immer noch. Nach der Wende wurden einige neue Objekte errichtet. Die städtebauliche Grundstruktur des Wohngebiets Fennpfuhl ist aber so stabil, dass diese Ergänzungen den Charakter des Gebietes nicht nachteilig verändert, sondern bereichert haben. Zu nennen sind da der Storkower Bogen, das Castello oder der City-Point. Das Erscheinungsbild der Wohngebiete mit den großen Wohnscheiben zu den verkehrsreichen Hauptstraßen und den Wohnhochhäusern in den Nebenzentren ist sehr prägnant. Die eigentliche Musik spielt im Hauptzentrum und dem Freizeitpark mit dem Fennpfuhlsee. Dieser Bereich ist mit seinem Grün, auch mit den vielen Skulpturen eine Oase der wohltuenden Entspannung. Also, es gefällt mir vieles im Fennpfuhl und vor allem der Fennpfuhl bleibt schön.
Ärgerliches gibt es natürlich auch. Ein Beispiel ist der Abriss des Großen Brunnens auf dem Anton-Saefkow-Patz. Der Platz hat dadurch seine körperhafte Mitte, seinen Halt verloren und ist trotz der auf der Fläche normierten Sprühdüsen nur eine Ödnis, ein namenloses und leeres Nichts. Das Verweilen auf dem Platz wird eine mutige Herausforderung.
Weitere Brunnen sind verschwunden oder defekt. Auch der Rückbau von wertvollen langlebigen Klinker- und Keramikmaterialien und Objekten der angewandten Kunst ist ein materieller und gestalterischer Verlust für den Fennpfuhl.

Im Bürgerverein und vor allem mit seinem Arbeitskreis für städtebauliche Entwicklung haben wir die Entwicklungen im Fennpfuhl stets kritisch und konstruktiv begleitet und werden das auch weiter tun.

Dieter Rühle, Vorstand im Bürgerverein Fennpfuhl

Keine Glanzleistung war der Abriss von Schulen und Kindergärten, die jetzt übrigens fehlen.
Mit der Schließung des Warenhauses und dem geplanten Abriss des Gebäudes wäre die platzräumliche Fassung des Anton-Saefkow-Platzes verloren. Glücklicherweise konnten engagierte Investoren das Gebäude als ein Wohnobjekt umbauen und damit den räumlichen Halt des Platzes sichern. Inzwischen ist das Haus mitten im Zentrum und am Freizeitpark gelegen zu einem außergewöhnlichen und gefragten Wohnobjekt geworden.
Im Bürgerverein und vor allem mit seinem Arbeitskreis für städtebauliche Entwicklung haben wir die Entwicklungen im Fennpfuhl stets kritisch und konstruktiv begleitet und werden das auch weiter tun.

Irgendwo habe ich gelesen, dass es mal die Idee für ein „Nessi“ vom Fennpfuhl gab. Was hat es denn damit auf sich?
Dieter Rühle steht mit einigen Menschen auf Gehwegplatten irgendwo im Fennpfuhl
Am besten bespricht es sich vor Ort

Das ist eine lange, aber spannende Geschichte. Mir ging Ende der 1980er Jahre schon längere Zeit durch den Kopf, mit welchen Mitteln oder Objekten es möglich sein könnte, im Fennpfuhl etwas zu schaffen, das es nur dort gibt – etwas Einmaliges in Berlin. Ich hatte dann so eine Idee: Im Fennpfuhlsee könnte es doch ein mysteriöses Seeungeheuer geben. Dieses Ungeheuer sollte nur einmal am Tag stets zum gleichen Zeitpunkt sich langsam für etwa 15-20 Minuten aus dem Wasser erheben und sukzessive ein Feuerwerk von Wasserspielen präsentieren. Also nur sieben mal in der Woche, die Attraktion vom Fennpfuhl. Und ich malte mir so aus: Da würde man sich gern am Fennpfuhl verabreden, um das berühmte Spektakel zu erleben. Anschließend könnte man in den Seeterrassen mit einem Kaffee und Kuchen oder einem Eisbecher den Ausflug abschließen.
Im Juni 1988 habe ich die Idee in unserer Bau- und Planungsbaracke bei einer fröhlichen Feierei zum Tag des Bauarbeiters vorgetragen. Ich war total überrascht, dass die Idee ganz spontan so großen Zuspruch fand. Und vor allem, die Aufbauleitung gab an diesem Tag grünes Licht dafür
Doch wie realisiert man nun in der damaligen Planwirtschaft so ein Vorhaben, es gab keinen Jahresplan, keine Bilanzen, noch sogenannte Kapazitäten! Also musste man wohlwollende oder auch begeisterungsfähige Partner gewinnen. Somit begann eine abenteuerliche, aber auch äußerst kreative Reise.


Wir haben sprichwörtlich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um Nessi vom Fennpfuhl Wirklichkeit werden zu lassen. Wen wir da so alles angesprochen und begeistert haben, kann ich hier nur ganz kurz benennen. Da waren gefragte Berliner Brunnenbauer, die wir gewonnen hatten. Vom Chemiekombinat in Leuna sollte das Polyestermaterial für Nessi kommen. Das Gartenamt stand für Montage und Wartungsarbeiten bereit. Ja und die Bühnenbildabteilung der Komischen Oper hatte erste Entwürfe vorgelegt, wie Nessi aussehen könnte. Die sollten zwar noch präzisiert werden. Aber all diese Fragen zur Ausführung der Idee hatten wir im Herbst 1989 auf dem Schirm. Im Frühjahr 1990 sollte der Start erfolgen. Doch dann ging am 9. November die Mauer auf. Es rückten andere Dinge in den Vordergrund. Es gab Freude über das Ende der Teilung der Stadt, aber auch Sorgen, wie es weiter gehen würde. So ist das Nessie vom Fennpfuhl dann leider sprichwörtlich ins Wasser gefallen.

Sie sind ehrenamtlich im Vorstand des Fennpfuhl-Bürgervereins aktiv. Der Fennpfuhl lässt Sie also auch heute nicht los. Sie sind jetzt im neunten Lebensjahrzehnt und müssten das nicht mehr tun. Was treibt Sie dazu an? Was wollen Sie bewegen?
Logo für das Jubiläum „50 Jahre Fennpfuhl“

Mir gefällt ein Satz recht gut, der Christine von Schweden zugeschrieben wird: „Nicht die Jahre, sondern die Untätigkeit macht alt.“ Was gibt es Schöneres, wenn man den Beruf nicht als Belastung, sondern als Bereicherung, als Hobby leben kann. Ich konnte viele bauliche Aufgaben bearbeiten, gestalterisch tätig sein und wurde in viele Ehrenämter berufen.
Arbeiten und tätig sein erhält gesund, Diskussionen bereichern und erweitern den Horizont, es gibt immer etwas Neues zu entdecken.
Der Fennpfuhl lässt mich natürlich nicht los, er war mein Baby, mein Kind und inzwischen mein erwachsenes Familienmitglied mit eigenen Gedanken. Es gäbe noch sehr viele Fennpfuhl-Geschichten zu erzählen.


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Dieses Interview entstand in der Redaktion Zeigen, was geht!
Sie ist die Freiwilligen-Redaktion der oskar | freiwilligenagentur lichtenberg. Freiwillig Engagierte verfassen für die Redaktion Beiträge über Themen im Zusammenhang mit Engagement. Das Format der Beiträge kann in der Redaktion frei gewählt werden, neben Texten sind auch Videos oder anderes möglich. Die jährlich stattfindenden Freiwilligentage stehen besonders im Fokus. Die Zeigen, was geht! – Redaktion steht allen Interessierten offen. Wir treffen uns an jedem 2. Donnerstag im Monat. Wer mitmachen möchte, meldet sich bitte bei Gül Yavuz: guel.yavuz@oskar.berlin