Frühes Gedenken. Weitere Stolpersteinverlegungen in Lichtenberg.

Text: Peter Breitfeld / Dagmar Poetzsch                                                   Fotos: Dagmar Poetzsch

Elf weitere Stolpersteine wurden am frühen Sonntag im Lichtenberger Wohngebiet Frankfurter Allee Süd verlegt. Zahlreiche Lichtenberger:innen waren am 29. August 2021 trotz früher Stunde und regnerischem Wetter in die Alfredstr. 2 und die John-Sieg-Str. 1-3 gekommen. Für ein solch wichtiges Anliegen stehen Lichtenberger:innen auch sonntags schon mal früh auf. Zu den Frühaufsteher:innen gehörten Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Die Linke) und die Lichtenberger Bundestagsabgeordnete Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke). Der Künstler Gunter Demnig nahm die Verlegung der Stolpersteine vor. Er hatte bereits im Jahr 1992 die Bewegung zur Verlegung von Stolpersteinen als inzwischen gute Tradition begründet. In Lichtenberg sind nun insgesamt 163 Stolpersteine verlegt.

Im Mittelpunkt der Zeremonie standen die jüdischen Menschen, denen mit der Verlegung von Stolpersteinen gedacht wird. Dagmar Poetzsch, Ansprechpartnerin für Erinnerungskultur in Lichtenberg, erinnerte an ihre Schicksale. Sie berichtete vom Schneider Isidor Kirschbaum und seiner Frau Emma. Sie lebten ab 1933 in Lichtenberg in der Alfredstraße 2. Gleich um die Ecke besaß Isidor ein Geschäft für Weißwaren, Wäsche und Wollartikel. Mit den zunehmenden Repressalien, denen jüdische Mitbürger:innen in der Nazi-Diktatur ausgesetzt waren, mussten sie erst das Geschäft verkaufen und dann auch ihre Wohnung räumen. Sie zogen 1942 in die Tasdorfer Straße 6. Diese Straße gibt es im heutigen Wohnviertel Frankfurter Allee Süd nicht mehr, sie wurde völlig neu bebaut. 1942 jedenfalls lebten Isidor und Emma Kirschbaum dort in Stube und Küche in der ersten Etage. Die Miete betrug monatlich 25 Reichsmark. Bis zum 27. Februar 1943 mussten Isidor und Emma Zwangsarbeit für die Werkstatt für Damenoberbekleidung bei Artur Schulz im Prenzlauer Berg leisten. In Heimarbeit nähten sie Unterhosen für Lazarette. Dafür erhielten sie jeweils einen Wochenlohn von 11 Reichsmark. Auch Tochter Liselotte musste Zwangsarbeit leisten bei Siemens & Schuckert, Bahnhof Wernerwerk in Spandau. Ihr Restlohn von 18 Reichsmark wurde am 07. Juni 1943 bei der Oberfinanzkasse eingezahlt. Isidor, Emma und Liselotte Kirschbaum wurden mit dem 33. Osttransport am 03. März 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

In der Tasdorfer Straße 3 wohnte das Ehepaar Loewenberg. Am 13. Januar 1942 erfolgte ihre Deportation nach Riga. Sie wurden dort ermordet. Ihre Tochter Regina Loewenberg verhafteten die Nazis am 04. Januar 1941 wegen „Rassenschande“ und verbrachten sie in das Konzentrationslager Ravensbrück. Dort musste sie in der Schneiderei arbeiten. Bis sie KZ-Arzt Fritz Mennecke „begutachtete“. Sein Urteil: „… gemeingefährliche jüdische Vollblutdirne mit fortgesetzter Rassenschande“. Die Folge: 1942 wurde sie nach Bernburg/Saale überstellt und dort sofort nach der Ankunft ermordet. Ihr kleiner Sohn Kurt, geboren am 22. November 1937 in Berlin, lebte im Säuglings- und Kleinkinderheim des Fürsorgevereins für hilflose jüdische Kinder e.V. Kurt ist dort am 29. April 1939 verstorben. Warum er nicht bei seiner Mutter oder bei seinen Großeltern sein konnte, werden wir wohl nicht mehr erfahren.

[vc_row][vc_column width=“1/2″][vc_column_text]Schicksale, an die am frühen Sonntag in Lichtenberg erinnert wurde. Das Gedenken galt auch den Geschwistern Moritz, Friederike und Rosa Methner sowie Sara Schultze. Für die würdige musikalische Begleitung des Gedenkens sorgten Ellen Sternal und Karsten Zweininger vom Hans-und-Hilde-Coppi-Gymnasium. Sie erinnerten an die unvergessliche Esther Bejarano, die im Juli dieses Jahres verstorben ist. „Mir leben ejbig!“ – dieses jiddische Lied des litauisch-jüdischen Dinters Lejb Rosenthal, das er im Ghetto von Wilna schrieb, hat Ester Bejarano unzählige Male gesungen. [/vc_column_text][/vc_column][vc_column width=“1/2″][us_single_image image=“6133″ size=“medium“ lightbox=“1″][/vc_column][/vc_row]

Gut, dass es Frühaufsteher:innen gibt in Lichtenberg für ein wichtiges Anliegen – Nie vergessen!

Dieser Artikel entstand in der Redaktion Zeigen, was geht!

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