Beauftragte für Kinder- und Jugendbeteiligung im Bezirksamt Lichtenberg

Was haben Kinder-Kiez-Karten von Lichtenberg mit den Kinderrechtskonventionen der Vereinten Nationen (UN) zu tun? Etwas weit hergeholt, sagen Sie. Manuela Elsaßer sieht das anders. Wir sprachen mit ihr über ihre Arbeit im Bezirksamt Lichtenberg. Sie berichtet darüber, wie bereits für Kinder und junge Erwachsene vielfältige Möglichkeiten der Mitbestimmung und Beteiligung geschaffen werden können. Auch die Arbeit an den Kinder-Kiez-Karten gehört dazu.

oskar: Beim Stichwort Bezirksamt denken die Meisten wohl an die Bürgerämter oder die KfZ-Zulassungsstelle, vielleicht auch noch ans Ordnungsamt oder Gewerbeamt. Dass es da auch eine Leitstelle für Kinder- und Jugendbeteiligung gibt, wissen eher wenige. Ehrlich gesagt ich bisher auch nicht. Sie arbeiten dort. Welche Aufgaben hat diese Leitstelle?

Manuela Elsaßer: Unsere Aufgaben fußen auf den gesetzlichen Grundlagen der UN Kinderrechtskonventionen. Und das ist auch bereits ein Schwerpunkt unserer Arbeit – wir machen die Kinder- und Jugendrechte bekannt. Vor allem bei den Kindern und Jugendlichen, aber auch bei den Eltern und Pädagog:innen. Wir leiten dazu eine Arbeitsgruppe Kinder- und Jugendrechte, von der zum Beispiel jedes Jahr am 20. November ein Kinderrechte Aktionstag veranstaltet wird. In der AG haben wir auch einen Kinderrechte Koffer und einen Jugendrechte Rucksack zur Ausleihe für Fachkräfte entwickelt.

Zum anderen sind unsere Aufgaben die digitale Kinder- und Jugendbeteiligung (DKJB). Hierbei leitet meine Kollegin Anette Liepe ein Netzwerk von Fachkräften an, die dann wiederum mit den Kindern und Jugendlichen agieren können. Im Moment wird an einer digitalen Kinderstadt mit dem Tool Minetest gearbeitet.

Unser Ansatz ist es, Kindern und Jugendlichen eine Stimme zu geben oder dafür zu sorgen, dass sie gehört werden und aus ihren Ideen, Wünschen und Hinweisen Maßnahmen abgeleitet und umgesetzt werden.

Kinder und Jugendliche sind Expert:innen für ihre eigenen Belange. Deshalb sind wir Erwachsenen gut beraten, ihnen zuzuhören!

Manuela Elsaßer

Aus diesem Ansatz heraus haben wir viele Projekte, Methoden, Formate und Prozesse zur Kinder- und Jugendbeteiligung (KJB) entwickelt. Diese alle hier aufzuführen würde den Rahmen sprengen. Aber ich lade Interessierte recht herzlich ein, uns auf unserer Internetseite zu besuchen.

Ein Projekt liegt Ihnen besonders am Herzen. Zumindest ist das mein Eindruck, nachdem ich die Leitstelle im Internet besucht habe – die Kinder-Kiez-Karten. Erzählen Sie doch bitte, seit wann es das Projekt gibt, wer die Idee dazu hatte und was sich dahinter verbirgt.

Als ich 2008 die Stelle als Beauftragte für Kinder- und Jugendbeteiligung antrat, hatte ich die Möglichkeit in anderen Bezirken zu hospitieren beziehungsweise den Kolleg:innen über die Schulter zu schauen, die bereits in diesem Gebiet engagiert waren. So brachte ich die Idee der Kinder-Kiez-Karten aus Neukölln mit. Ich habe dann 2010 mit einem Kollegen einer Jugendfreizeiteinrichtung (JFE) in Hohenschönhausen das Konzept entwickelt. Dieser Kollege entwickelte parallel zum Konzept die Software für die Grafik der Karten. Mario Lange ist bis heute an meiner Seite und erarbeitet für jede Karte die kindgerechte Grafik.

Eine blonde Frau vor einer bunten Wand hält eine große Tafel mit einer Karte
Lichtenberger Kieze im Kinder-Karten Look (02)

Wir haben dann im Welsekiez in Hohenschönhausen die erste Kinder-Kiez-Karte erarbeitet und dann von Karte zu Karte das Konzept weiterentwickelt sowie angepasst und uns von Nord nach Süd durch den Bezirk gearbeitet. Aktuell gibt es 12 Kinder-Kiez-Karten.

Die Kinder-Karten haben viele besondere Merkmale beziehungsweise Eigenschaften. Zu aller erst erheben die Karten keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern sind ein Blick aus den Augen der beteiligen Kinder. Also die Partizipation ist unser großer Schwerpunkt. Darüber hinaus beinhalten sie aber auch Präventionsmöglichkeiten, indem die Kinder sowohl die schönen Orte benennen, als auch die Angsträume – so es aus ihrer Sicht, welche gibt. Im Nachgang des Workshops, den es für jede Karte gibt, sind dann die verantwortlichen Erwachsenen gefragt, um diese Angsträume abzubauen beziehungsweise Mängel zu beseitigen.

Ein wichtiger Schwerpunkt ist die Sozialraumorientierung.

Die Kinder zeigen uns ihren Kiez, erarbeiten eine Karte, die sowohl für andere Kinder als auch für Erwachsene zu nutzen ist. Dadurch erfahren sie eine stärkere Identifikation mit ihrem Umfeld und tragen ein Stück zum Gemeinwesen bei.

Manuela Elsaßer

Nicht zuletzt erstellen die Kinder die Karten durch ihr ehrenamtliches Engagement. Denn sie werden nicht dafür bezahlt. Sie werden aber wertgeschätzt und ihre tolle Arbeit wird in vieler Hinsicht anerkannt. Sie erleben Selbstwirksamkeit.

Auf der Internetseite sind derzeit 12 solcher Karten veröffentlicht. Wie ich weiß ist kürzlich die 13. Kinder-Kiez-Karte fertig geworden. Sie ist in Zusammenarbeit mit Kindern der Robinson-Grundschule in der Wönnichstraße entstanden. Hat es diese Kooperationen mit Schulen auch bereits bei den vorherigen 12 Karten gegeben? Und wie kommen diese Partnerschaften zustande – gehen Sie auf die Schulen zu oder können die sich für die Projekte bewerben?

Kurz vor Beginn der Sommerferien haben wir mit der Klasse 5b der Robinson Grundschule in der JFE Lücke die 13. Kinder-Kiez-Karte vom Weitlingkiez erarbeitet. Der Workshop dauerte 5 Tage, und ein pädagogisches Merkmal ist „Lernen am anderen Ort“.

Bei allen Karten suchen wir Kontakt zu den Schulen im Kiez sowie zu einer JFE und dessen Träger. Wir arbeiten immer mit Kindern im Grundschulalter und am besten mit einer Klasse, haben das Projekt aber auch schon mit 2 Klassen umgesetzt.

Manuela Elsaßer

Nach etwa 3 Monaten findet ein feierliches Übergabefest statt und die Macher:innen der Karten bekommen als Erste die neuen, frisch gedruckten Karten im Hosentaschenformat überreicht. Danach verteilen wir die Karten auch an weitere Einrichtungen.

Auch in der Verwaltung des BA Lichtenberg und in der Politik sind die Kinder-Kiez-Karten sehr beliebt. Meine Kolleg:innen, Spielplatzplaner:innen im Umwelt- und Naturamt, freuen sich über jede Karte. Denn die Kinder bewerten die Spielplätze auf ihren Touren durch den Kiez. Ein direkteres Feedback von den Expert:innen können sie sonst nicht bekommen.

Es gibt eine Lehr- und Lernform, die immer breitere Anwendung findet – Lernen durch Engagement (LdE). Die oskar | freiwilligenagentur ist Kompetenzzentrum dafür. Es geht dabei um die enge Verbindung von schulischem Lernen mit der Beteiligung an außerschulischen, nützlichen Projekten. Das Kiezkartenprojekt passt ja auch ganz gut in diese Richtung. Wie sehen Sie das?

Das sehe ich genauso. Denn wie schon erwähnt ist es das Engagement der Kinder, was die Karte zu dem macht, was es dann ist. Es entsteht aus meiner Sicht eine enge Verbindung vom schulischen Lernen mit der Beteiligung an dem außerschulischen, nützlichen Projekt. Sie lernen durch ihr Engagement den Kiez noch besser kennen, zeigen den Erwachsenen den Sozialraum aus ihrer Sicht, lernen bei der Gelegenheit Karten zu erstellen, Legenden anzulegen, sich zu orientieren auf den Karten und im Kiez. Sie lernen was Piktogramme sind, lernen diese zu zeichnen und erfahren das Lernen am anderen Ort. Das nehmen sie dann auch wieder mit zurück in die Schule. Und sowohl Lehrer:innen, Erzieher:innen als auch Schulsozialarbeitende können darauf in der Schule aufbauen.

Zwei Kinder sitzen im Grünen auf einer Bank und schauen in eine große Karte,
Konzentriert bei der Arbeit (03)
Angst einmal keine Arbeit zu haben, müssen Sie ja nicht haben. Die wächst gewissermaßen mit jeder Generation nach. Was motiviert sie immer wieder, neue Ideen zu finden und Möglichkeiten der Mitbestimmung und Beteiligung für Kinder und junge Erwachsene zu eröffnen? Und wo sehen Sie Möglichkeiten, dass Erwachsene durch freiwilliges Engagement dazu noch einen größeren Beitrag leisten?

Mich motivieren die Kinder und Jugendlichen. Ich war in meinem ersten Berufsabschnitt als Erzieherin in Kitas und danach in Jugendfreizeiteinrichtungen als Sozialarbeitende tätig. Von daher kann ich sagen, dass ich viele Basiserfahrungen gesammelt habe. In meiner jetzigen Tätigkeit verbringe ich viel Zeit in der administrativen Ebene –  also im Büro. Ich suche mir immer wieder Projekte aus, die ich gerne an der Basis ausübe, wie das Kinder-Kiez-Karten Projekt und viele ähnliche.

Durch den direkten Kontakt bekomme ich ein klares Feedback und viele, neue und gute Ideen. Das ist der Lohn unserer Arbeit und Motivation zugleich. Wie schon gesagt, wenn wir die Kinder fragen, sind wir gut beraten!!!!

Manuela Elsaßer

Zum Thema der Erwachsenen, sehe ich im Kontext der Kinder- und Jugendbeteiligung ganz klar die Eltern im Fokus. Denn zum einen ist es wichtig, dass auch die Eltern die Kinderrechte kennen, ansonsten entsteht ein Spannungsfeld. Und zum anderen können Eltern gerne bei einem feierlichen Übergabefest der Kinder-Kiez-Karten einen Chor zusammenbringen, Kuchen backen oder den Raum dekorieren, um Beispiele zu nennen. Das war jetzt sehr praktisch gesprochen. Aber wir sind ja auch beim Projekt der Kinder-Kiez-Karten.

Noch mal zurück zu den Kiez-Karten. Gibt es denn Gegenden in Lichtenberg, die noch keine solche Kiezkarte haben? Und gibt es schon Pläne, für welche Lichtenberger Kieze die nächsten Karten entstehen werden? Möglicherweise müssen bestehende Karten auch mal aktualisiert werden?

Die 13. Kinder-Kiez-Karte ist die Vorletzte. Wir wollen im kommenden Jahr die 14. und letzte Karte von der Rummelsburger Bucht erarbeiten. Dann haben wir den gesamten Bezirk Lichtenberg abgebildet. Werden dann alle 14 Karten zusammengelegt, sollten ca. 80 Prozent erfasst sein. Denn wir haben immer aus der Kindersicht gedacht und zum Beispiel Gewerbegebiete rausgelassen. Auch sind die Kieze so zugeschnitten, dass Kinderfüße sie erlaufen können und der Grafiker alles in die Karten bekommt. Wenn das vollbracht ist, wollen wir in der Tat, wieder im Norden beginnen und die vorhandenen Karten aktualisieren. Denn im Welsekiez hat sich seit 2010 Einiges verändert. Sie sehen es gibt noch reichlich zu tun 🙂 !!!!

Eine blonde Frau mit Steckfrisur lächelt in die Kamera und hält einen Strauß Karten in der Hand
Bunter Kartenstrauß im praktischen Hosentaschenformat (04)
Wenn jetzt jemand Interesse hat und diese Kiezkarten gern nutzen möchte, wo gibt es den Zugang dazu? Nur online im Internet oder gibt es die auch gedruckt in Papierform?

Die Karten sind alle auf unserer Internetseite herunterzuladen, und ansonsten kann man sich bei uns in der Leitstelle für Kinder- und Jugendbeteiligung melden. Hier gibt es die Karten in Papierform im praktischen Hosentaschenformat.

Kontakt
Manuela Elsaßer
Beauftragte für Kinder- und Jugendbeteiligung
www.kjb-lichtenberg.de
030 90296 6303, manuela.elsasser@lichtenberg.berlin.de

Dieses Interview entstand in der Redaktion Zeigen, was geht!
Sie ist die Freiwilligen-Redaktion der oskar | freiwilligenagentur lichtenberg. Freiwillig Engagierte verfassen für die Redaktion Beiträge über Themen im Zusammenhang mit Engagement. Das Format der Beiträge kann in der Redaktion frei gewählt werden, neben Texten sind auch Videos oder anderes möglich. Die jährlich stattfindenden Freiwilligentage stehen besonders im Fokus. Die Zeigen, was geht! – Redaktion steht allen Interessierten offen. Wir treffen uns an jedem 2. Donnerstag im Monat. Wer mitmachen möchte, meldet sich bitte bei Gül Yavuz: guel.yavuz@oskar.berlin